• Wie fortschrittlich ist die Kunst?

Wie fortschrittlich ist die Kunst?

Vorbemerkung

Schon über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftige ich mich mit der Frage nach einem möglichen Fortschritt in der Kunst. Der Anlass dazu ergab sich gleichsam von selbst aus der steten öffentlich wirksamen Rede von der Existenz einer „Avantgarde“ im aktuellen Kunstschaffen. Damit waren Personen gemeint, die angeblich neue, wegweisende Entwicklungen innerhalb der Künste in Gang setzten, gemäß der Bedeutung des aus der französischen Militärsprache entlehnten Wortes „Avantgarde“, einem Truppenteil, welcher als Vorhut vorneweg marschiert. Eine eigene Epoche der europäischen Kultur war Avantgarde nie. Allenfalls kenzeichnet sie begrenzte Strömungen vor allem in der französischen Literatur in der Zeit zwischen 1915-1925. Heute wird Avantgarde ganz allgemein genutzt als Reflexion auf die Erschütterung traditioneller Werte versehen mit dem „Versprechen“, einen neuen, geänderten Wertekatalog oder Bezugsrahmen zu bilden als Ersatz für die aufgegebene Tradition.

Ich komme später darauf zurück, um Avantgarde vor allem dem Begriff der „MODERNE“ gegenüber zu stellen, welcher Ähnliches vermuten lässt, sich jedoch tatsächlich mit einem ganz anderen Verständnis verbindet.

Um es nun ganz ungeschminkt zu sagen: trotz der vorher erwähnten längeren Beschäftigung mit dieser Thematik, ist mir genau diese in den letzen Wochen völlig abhanden gekommen durch den von Putin in Europa entfesselten Krieg. Jeglicher Fortschritt, jegliche Idee von Entwicklung neuer gesellschaftlicher Lebensformen ist von Bomben zum Stillstand gebracht worden. Statt vorwärts fallen wir über mindestens 70 Jahre zurück an den Beginn einer Zeit, in welcher man Stabilität der Lebensverhältnisse weltweit schaffen wollte und auch schuf, um den Menschen für fortschrittliche Entwicklungen eine Chance geben zu können, zum Beispiel im Sinne von Immanuel Kant „… im Fortschreiten zur Vollkommenheit… vom Schlechteren zum Besseren,“ einem „verborgenen Plan der Natur folgend, der zu einem vollkommenen Staat führen würde, in dem sich der Mensch zu Vollkommenheit zu entwickeln vermag.“ Alles dazu bis heute Erreichte erhält durch das Kriegsgeschehen nicht nur einen Stillstand, sondern verliert den gesamten erzielen Fortschritt in Europa und auch weltweit. Eine nicht für möglich gehaltene Zerstörung grundlegenden zivilisatorischen Fortschrittes geschieht zurzeit. Wir stehen an einer bedeutenden Zeitenwende und zwar nach rückwärts.

Kurz gefasst befinde ich mich mit meinem Vorhaben in einem labilen Zustand und muss versuchen, wieder Boden unter den Füssen zu gewinnen, der wie abhanden gekommen erscheint. Vor dieser Tatsache möchte ich meine Leser um Verständnis bitten, für eventuelle Schwächen in den nun folgenden Gedanken, da es aktuell nicht leicht ist, über Fortschritt nachzudenken und dann auch noch darüber zu schreiben. Doch vielleicht ist es gerade jetzt auch nicht unwichtig, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welchen Glauben wir mit der Idee des Fortschritts stets verbanden: unseren Fortschrittsglauben!

Schon wie ein Ruf aus ferner Zeit klingt heute beispielsweise die Devise der gerade neu gewählten Regierung der Bundesrepublik Deutschland: mehr Fortschritt wagen!

Vor allem die Heranwachsenden trifft es in ihrer Entwicklung besonders tragisch, da sie an ihre Zukunft denken müssen und das in einem gesellschaftlichen Umfeld, welches selbst eher von Orientierungslosigkeit schon lange geprägt ist und den jungen Menschen viel zu wenig bildende Lebensformen zeigte und lehrte.

„Woher die immer mehr überhandnehmende Unzufriedenheit der jungen Leute mit ihrem Zustande, worüber man heutigen Tages so häufig klagen hört? Umgeben von allem, was den Sinnen schmeichelt, was den Verstand unterhält, entlockt ihnen dies allerhöchstens ein augenblickliches Lächeln, aber nie erfüllt es die tödliche Leere, die sie tief im Herzen empfinden.“

Man ist geneigt, diese Worte einem Politiker unserer Tage in den Mund zu legen, doch sie stammen von dem Juristen Ludwig von Brockes (1767 – 1810), dem zehn Jahre älteren Freund des Dichters Heinrich von Kleist (1777 – 1811), welcher darauf hinweisen wollte, den jungen Menschen dabei zu helfen, ihre Bestimmung in der bürgerliche Gesellschaft zu finden „…als der erste aller unsere Wünsche…“

Zu dieser Bestimmung führt nur die Erziehung durch die Künste gegen „die tödliche Leere im Herzen.“ Leider findet sie fundamental in den Lehranstalten kaum noch statt: die Kunst als eine nicht hintergehbare Ausdrucksform der Menschen zu verstehen. Die totale Verwissenschaftlichung all unserer Lebensverhältnisse ist eine der katastrophalen Irrtümer der Neuzeit. Denn: „die Wahrheit der Kunst verhindert, dass die Wissenschaft unmenschlich wird, und die Wahrheit der Wissenschaft, dass sich die Kunst lächerlich macht.“ (Georg Simmel 1858 – 1980)

 

Fortschrittsidee und Irrtum

Fortschrittsglaube und der Wille zum Fortschritt wurde und wird auch immer begleitet von Irrtümern. An dieser Stelle möchte ich nur einen benennen, weil er sehr populär wurde und bis heute blieb. Es handelt sich um den Satz des französischen Philosophen, Mathematikers und Naturwissenschaftlers Rene Descartes (1596 – 1650): „cogito ergo sum.“ „Ich denke, also bin ich.“ Er war es, welcher im frühen 17. Jahrhundert postulierte, was dann allen fortschrittlichen, das heisst aufgeklärten Zeitgenossen als große Jahrhundertweisheit fortschrittlich angesehen wurde und weit über 300 Jahre und eigentlich noch bis heute in den Schulen den Schülern eingetrichtert wird. Sein und Denken seien demnach identisch. Rationalität ist alles! Ich denke, also bin ich, führt doch dazu, dass ich nicht ein fühlender, nicht ein erlebender von den Sinnen bestimmter Mensch sein kann. Zu denken sei völlig ausreichend! Falsch: es muss heißen: ich bin, und deshalb denke ich, und zwar von des Sinnen Gnaden.

Man verlor die Einsicht, dass der Verstand der Menschen begrenzt ist und er eine Weitung braucht, und zwar durch die Künste. Ich rede hier von der notwendigen ästhetischen Erziehung, als eine Erziehung der Gefühle. Davon haben wir uns sträflicherweise weit entfernt, und behandeln die Künste, allem voran die Bildenden Künste, heute im Sinne der Ökonomie, welche immer Ende und Ziel von Verwissenschaftlichung ist, als ein Marktgeschehen, welches, wie jeder Markt, den materiellen Fortschritt preist. So gestimmt beginne ich nun, mich der Frage nach dem Fortschritt in der Kunst zu beschäftigen.

Wie fortschrittlich ist die Kunst?

Nicht erst seit Charles Darwin (1809 – 1882) seine epochale Evolutionstheorie über den Entwicklungsgang der Menschen zum Homo Sapiens vorlegte, beschäftigten sich zahlreiche Forscher und Gelehrte mit Fragen des Fortschritts. Weil sein Statement: „for knowledge itself is power – den Wissen selbst ist Macht, (Hauptwerk „Novum Organum, 1620) ebenfalls bis heute eine stete Redewendung geblieben ist, erwähne ich einen der berühmtesten Vordenker, den englischen Philosophen, Staatsmann, aber vor allem Naturwissenschaftler Francis Bacon (1561 – 1626). Leider reduzierte man seinen sehr differenzierten Satz auf die kurze Formel „Wissen ist Macht“! Dieser wurde dann nicht selten aus diesem falschen Verständnis heraus missbraucht. Bacon ging es vor allem um Erkenntnisse und Methoden der Naturwissenschaft, welche den Menschen in einen höheren Stand seines Daseins bringen sollte: Wissen und Macht fallen zusammen, weil Unkenntnis der Ursache auch über deren Wirkung täuscht. Weniger bekannt, doch ebenso geistreich ist an die Zukunft gerichtet sein humorvollen Hinweis: „die Hoffnung ist ein gutes Frühstück, jedoch ein schlechtes Abendbrot.“

Erkenntnisfähigkeit und Kreativität der Menschen gelten als Basis für eine zunehmende wünschenswerte Distanz vom Naturzustand zum Streben nach einer Idealgesellschaft. Wobei vorrangig von der Entwicklung des sogenannten „äußeren Menschen“ bei Darwin die Rede ist. Für Kant bedeutet „die Entlassung des Menschen aus dem Mutterschoße der Natur“ entwicklungsgeschichtlich einen Fortschritt, moralisch jedoch einen Verfall. Der Mensch hat seitdem den Wunsch, diesen Widerspruch aufzuheben, indem er wieder in seinen naturhaften Zustand zurückkehren möchte. Die Vernunft aber „erlaubt es nicht, in den Stand der Rohigkeit und Einfalt zurückzukehren, aus den sie ihn gezogen hat.“ (Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte, 1786)

Schiller versucht diesen Widerspruch so aufzulösen, dass der Mensch als „freier, vernünftiger Geist dahin zurück kommen soll, wovon er als… eine Kreatur des Instinktes ausgegangen war.“ (Etwas über die erste Menschengesellschaft, 1790)

Hier ist von der Suche nach der Wiedergewinnung einer Harmonie von Natur und Vernunft die Rede: einer Evolution des „inneren Menschen“, eigentlich eine Involution, in dem er Form gewinnt durch eine innere, ästhetische Erziehung.

In seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater“ aus dem Jahre 1810, erzählt Heinrich von Kleist von dieser Bildung der Seele. Kein Geringerer als der österreichische Dramatiker Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929) bezeichnet dieses Werk als ein von Verstand und Anmut glänzendes Stück Philosophie, das niemand seit Platons Mythen so vollendet und überzeugend hervorgebracht hat.

Von dem Philosophen Friedrich Hegel (1770 - 1831) stammt der berühmt gewordene Satz: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.“

Die benannten Fortschrittsideen kennzeichnen die entscheidenden Leitkategorien der Moderne während der Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Im 19. und 20. Jahrhundert etablierten sich diese Ideen im Rahmen des dann immer dominanter werdenden rein wissenschaftlichen Weltbildes der Industriegesellschaften, dass eine stetige soziale und kulturelle höher Entwicklung des Menschen voraussetzt. Fortschritt und Entwicklung gelten als entscheidender Faktor und Antrieb des soziokulturellen Wandels. Technischer Fortschritt bedeutete immer auch humaner Fortschritt.

Faktisch gibt es keine anerkannte Definition des Begriffes, so dass der Begründer der Sozialwissenschaften, Ferdinand Tönnies im Jahre 1926 kurz und bündig feststellte: Fortschritt sei „die zunehmende Überwindung von Mangelzuständen.“

Fortschrittskritik

Das der Fortschrittsglaube auch kritisch zu sehen ist, da die Zuschreibung von Werten und Wertvorstellungen den jeweiligen Rezipienten leicht zu einer Dogmatisierung, beziehungsweise zu einer Fortschrittsideologie führen kann, das erleben wir häufig in der Gegenwart und ganz vehement auf dem Gebiet der Künste und wiederum allem voran der Bildenden Künste.

Warnend klingen hierzu die Worte des Arztes, Theologen, Philosophen und Nobelpreisträger Albert Schweitzer (1875 – 1965): „… Fortschritt wird nur noch im materiellen Sinne verstanden: mehr Kohle, mehr Öl, mehr Macht, mehr Gewinn. Fortschritt in der Qualität des Menschen, und auf den kommt es doch an, denn was nützen die Schätzen der Erde, wenn der Mensch an inneren Werten verliert?“ Erinnert das nicht an das vorherige Zitat des Juristen Brokes über die innere Not der jungen Menschen?

Fortschritt in Form von Ideologien wachsen in der zeitgenössischen Kunst wie Pilze aus dem Boden. Deshalb muss man sich die Frage nach der Fortschrittlichkeit der Kunst nicht unnötig schwer machen. Ohnehin zählt man die Kunst eher zu den Leichtgewichten unter den Bausteinen, aus denen die Gesellschaft Anschauungen und Erkenntnisse bildet. Sie dient der Erbauung, ist schöner Schein und tritt überwiegend als Begleiterin derjenigen auf, die sie sich leisten können. Kaum fortschrittsrelevant für die gesellschaftliche Entwicklung wie irrtümlicherweise vorwiegend angenommen wird. Deshalb wird auch nicht widersprochen, wenn man sie dreht und wendet und ihr Fortschritt auf dem Wege von einfachen Erklärungen verordnet. Höhepunkt dieses Spiels mit vielen Unbekannten innerhalb des künstlerischen Handgemenges bilden dann Postulate wie: „Kunst ist das, was man zur Kunst erklärt“ oder flankierend hierzu: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Alles scheint klar und alles wurde auf einmal wie befreiend wirkend für eine neue Kunst. Rasch stellte sich eine Avantgarde ein, die durch Wortführer und kaum durch das Schaffen neuer Werke Nahrung erhielt. Woher sollte diese zur Schaffung neuer Werke auch kommen? Werkbegriff und Werkverständnis waren doch längst dem erweiterten Kunstbegriff zu Opfer gefallen. 

Eine Variante des gegenwärtigen Kunstbetriebes bietet so etwas wie ein Gesellschaftsspiel, deren Teilnehmer über die zwei dazu wichtigen Ressourcen verfügen: Kapital und Medienmacht! Da sich beides in den Händen nur Weniger befindet, liegen auch die Künstler und vor allem der Kunstmarkt in den Händen dieser Gruppe von Spielern. Als Spielanleitung wird eine Scheinfrage präsentiert: Was sagt uns der Zeitgeist und wie antwortet die Kunst darauf? Vielleicht hält noch einer den befeuchteten Zeigefinger gleichsam als Antenne in die Luft und formuliert dann eine Zeitstilformel. Ganz gleich was da im Detail formuliert wird, die Perspektive ist immer dieselbe: die Kunst soll in ihren Ausdrucksformen vor allem das widerspiegeln, wie sich die Gesellschaft selbst gern sieht. Man möchte mit ihrer Hilfe dem eigenen gewünschten Lebensgefühl begegnen in den jeweiligen Objekten (keine Werke mehr!) und Bestätigungen dafür finden, wie modern und damit fortschrittlich man ist. Die Kunst als Aplausinstrument für die Gesellschaft. Das ist das Spiel, übrigens ein Glücksspiel, denn da geht es vor allem um sehr viel Geld, auch um Schwarzgeld!

Wie war es denn vordem? Da setzte sich die Kunst in Distanz zur Gesellschaft und schuf ihre Werke aus dieser Perspektive. Heute, regelrecht vergesellschaftet, spricht sie aus der Gesellschaft in die Gesellschaft hinein und erklärt alles das zur Kunst, was der Gesellschaft gefällt. Meine Frage: Was ist daran fortschrittlich?

Fortschritt und Kunst, wie gehen diese beide Begriffe zusammen, oder anders gefragt: ist zwischen ihnen überhaupt eine Verbindung möglich?

Bis vor zirka 100 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, über das Problem des Fortschrittes in der Kunst auch nur einzigen Gedanken zu verwenden. Warum? Weil an einem Prinzip festgehalten wurde, eines jahrtausende alten Kunstschaffens in dem es darum ging, an dem weiter zu arbeiten, was immer gut war, um es zu steigern und Qualität vor Originalität setzte. Steigerung hieß dabei nie Verkomplizierung, sondern, Vereinfachung hin zu elementarem Erkennen und stets zu den Quellen der Kunst zurück, um frische schöpferische Kräfte zu gewinnen. Die eigene Kunstfähigkeit sollte durch Elementarerlebnisse ausgebildet und gestärkt werden.

In seinem Aufsatz aus dem Jahre 1972 mit dem Titel „Das Knäckebrot aus Eisenguss – von Neuem gefragt: ist das noch Kunst?“ konstatiert der Philosoph, Anthropologe und Soziologe Arnold Gehlen (1904 – 1976) sarkastisch: „es gibt keine Avantgarde mehr, die einen Fortschritt verheißen könnte, es wird nunmehr eine Unaufhörlichkeit ohne Fortschritt geben.“ Also einen Wirbel in dessen Zentrum Stillstand herrscht? Seine Feststellung kann unsere Erwartungen sinken lassen. Doch anscheinend gab es einmal für Gehlen so etwas wie die Möglichkeit einer Avantgarde in der Kunst.

Bevor ich weiter in meinen Gedanken fortschreite, möchte ich kurz inne halten, um wieder einmal daran zu erinnern,  dass wir zwar in einer Weise über die Kunst reden, als könnten wir definitiv erklären, was Kunst, beziehungsweise was ein Kunstwerk ist, so gilt doch nach wie vor, dass wir genau dies nicht wissen können, weil jedes Kunstwerk ein offenes Zeichensystem ist und für jedes subjektive Erleben in völliger Freiheit zugänglich bleiben muss. Dennoch brauchen wir, um erkenntnistheoretisch voran zu kommen, zum Gegenstand unserer Überlegungen hilfsweise eine praktische Aussage. Dies kann verständlicherweise nur mit Umsicht geschehen. So reden wir nicht davon, was Kunst ist, sondern davon, was ihre Existenz- und Erscheinungsweise prägt, die sich in Formen äussert. Nicht was sie ist, sondern wie tritt sie auf? Begnügen wir uns mit diesem Aspekt, denn er ist umfassend genug und benötigt unsere gesamten Erlebens- und Erkenntniskräfte.

Die sogenannte Moderne

So wenig wie die Avantgarde nie Kunstepochen kennzeichnete, so explizit erfasst dies der Begriff von einer „Moderne“. Er ist von einem historischen Bewusstsein erfasst, welches stets erst dann zu Bestimmungen greift, wenn rückblickend eine Epoche abgeschlossen erscheint und dadurch die grundlegende Sicherheit bietet, einer historischen Bewertung und einer entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchung Stand zu halten. Somit erfasst „Die Moderne“ aus der Rückschau ihre Aussagen und nicht, wie man vermuten könnte, aus gegenwärtig Aktuellem. Die von englischen, französischen und deutschen Philosophen entwickelte sogenannte „Aufklärung“ während des 18. Jahrhunderts, bezeichnet man als „Die Moderne“. In der Musikwissenschaft gibt es die „Erste Wiener Moderne“, womit die Musik Haydns, Mozarts und Beethovens gemeint ist. Es handelt sich um die Wiener Klassik, die Musik der Aufklärung. Dieser folgt eine „Zweite Wiener Moderne“, welche die Epoche der sogenannten Dodekaphonie, die Zwölftonmusik eines Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern u.a. in den Jahren um 1920 beschreibt.

Am Ende des 19., bzw. am Beginn des 20. Jahrhunderts findet in den Bildenden Künsten eine sogenannte „Moderne“ statt, welche alle Zeichen eines gewaltigen Aufbruches trägt. Es treten sogenannte „Ismen“ auf, neue Kunststile, welche zügig hintereinander folgen. Vielleicht beginnend in Frankreich mit Matisse und den Fauves und übergehend zu Aussagen von Abstraktionen eines Kandinskys und Marcs und vor allem osteuropäischer Künstler. Diese Abstraktionen der frühen Moderne mit all ihren Schwierigkeiten des Verstehens vermitteln dennoch etwas, worauf die Kunst nie verzichtet hat: eine Restverbundenheit mit der Tradition. Dies drückt sich darin aus, dass man diese Kunst auch als „Klassische Moderne“ bezeichnet.

In die Entwicklung bis zur Gegenwart zog dann etwas ein, was wie eine apokalyptische Spannung wirkt: herbeigeführt wird sie vom Untergang des gesamten Formenkanons und dem Hervortreten einer Tendenz des Dekonstruktivismus. An dieser Stelle müsste ich nun über das Phänomen – „den mehr ist es nicht“ – :der sogenannten „Post Moderne“ schreiben. Post, von lateinisch „nach“ abgeleitet, der Moderne, drückt sich Pessimismus und Sinnverlust aus. Es gibt für die Menschen in der modernen Welt keinen Platz. Die Debatte, was genau Postmodern ist, wird seit den 1980er Jahre geführt und bezieht sich auf die Grundannahme, dass die „Moderne“ (Aufklärung des 18. Jahrhunderts) zu idealistisch gewesen und völlig gescheitert sei. Prägend war der französische Philosoph Jean-Francois Lyothard mit seinem Bericht, „Das Postmoderne Wissen“ 1970. Er redet vom „Ende der großen Erzählungen“ in Philosophie, Kunst, Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft und Gesellschaftswissenschaften. Ihnen soll man keinen Glauben mehr schenken. Die Lehre daraus: die Welt soll nicht auf ein Fortschrittziel betrachtet werden, sondern als zufällig, pluralistisch und vor allem chaotisch in ihren instabilen Zusammenhängen gezeigt werden.

In der postmodernen Kunst taucht dann der vorher schon erwähnte erweiterte Kunstbegriff auf und die Übernahme vergangener Stile, welche ab jetzt allerdings ätzend und ironisch verwendet werden, u.a. durch

  • Absage an die Vernunftsidee der Aufklärung
  • Aufgabe des autonomen Subjekts als rational agierende Einheit
  • Verlust von Solidarität, traditionellen Bindungen und eines allgemeinen Gesellschaftgefühls
  • Stattdessen radikale Pluralität in Gesellschaft, Kunst und Kultur.
  • Dekonstruktion, Sampling, Mixing von Codes als neue Kulturtechniken.

Dies alles rief nicht nur zahlreiche Gegner auf den Plan, sondern schuf den Boden für dasjenige, was aktuell Kunstgalerien bieten: es gibt nichts mehr zu sehen!

Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas (1929)einer der weltweit meist rezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart, konstatiert: „Wenn wir zum Beispiel das Werk von Kant oder Max Weber aufheben, laufen wir Gefahr, der Irrationalität zu verfallen.“

Fazit: Die Idee des Fortschrittes, kann in der Kunst keine Bedeutung finden, da diese ihrem Wesen nach weder Anfang noch Verlauf bestimmbar und messbar macht. Sie liebt Sprünge wie die Natur auch. Um dazu nur ein, vielleicht das bedeutendste Beispiel zu geben: die Kunst der Renaissance vom 13. – 15. Jahrhundert ist eine Rückbesinnung auf die Kultur der Antike.

Die Idee des Fortschrittes hat das Kunstmanagement den Wissenschaften und vor allem der industriellen Revolution und deren neue Techniken abgeschaut. So wie diese ihre neuesten Errungenschaften sinnvoll in großen Messen vorführen, übernahm man diese Form der Messe auch für die Kunst, obwohl sie keinen Fortschritt kennt. Diese lukrativen Art-Messen unserer Tage erweisen sich als die ignoranteste Seite des Kunstschaffens. Jedoch reicht zum lukrativen Geschäft die gewöhnliche Dummheit und es bedarf nicht des ganz großen Verstandes.

© Sibylle Laubscher