• Künstliche Intelligenz & das Absurde Teil II

Künstliche Intelligenz & das Absurde Teil II

Zu meinem im vorangegangenen Essay angekündigten und auch schon im Ansatz vorbereiteten Thema:

Wie kommt das Absurde in die Welt?

kam ich eher zufällig. Ich beschäftige mich schon länger mit dem hochaktuellen Gebiet der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ (KI) ganz allgemein und im Speziellen dessen Einwirken und Möglichkeiten in Bezug auf die Künste. Hier soll es anscheinend umwälzende Entwicklungen geben können. Um es gleich zu gestehen: je mehr ich versuche, in dieses neue Gebiet ein- und vorzudringen, je öfter befällt mich der Eindruck, nichts wirklich zu verstehen und nichts mehr in Einklang mit meinem bisherigen Wissen bringen zu können.

Dieses Wissen oder genauer gesagt mein persönlicher Standort, ergab sich stets aus drei Gewissheiten:

  • Die Welt und ihr Geschehen, in der ich lebe und von der ich umgeben bin, verstehe ich;
  • und den Notwendigkeiten, Herausforderungen, welche auf mich aus dieser meiner Welt zukommen, fühle ich mich gewachsen;
  • und außerdem finde ich in allem einen guten Sinn und ebenfalls einen guten Zweck.

Diese Stabilität wankt, sobald ich versuche, mich darin zu orientieren, was gemeinhin Künstliche Intelligenz genannt wird.

Dieser Unsicherheit auf den Grund gehend, fand ich heraus, dass vor allem die inhaltliche Verwendung von Begrifflichkeiten in der KI-Debatte, die ich aus anderen Disziplinen, vorrangig aus der Philosophie bislang klar verstanden hatte, in den neuen Verbindungen und scheinbaren Logiken nicht wieder erkennen konnte. Kurz gesagt: ich verlor mich und mein Denken ins Uferlose, in Verwirrungen. Und genau an diesem Punkt, dem Punkt der Sprachverwirrung, begegnete ich dem Phänomen des Absurden, dem Ungereimten, über dessen Ursprung ich später schreiben werde.

Werden Begriffe nicht mehr in dem Zusammenhang verwendet, für den sie einstmals geklärt und angewandt wurden, um sich zu verständigen, zerfällt etwas Grundlegendes: die Möglichkeit der verständlichen Kommunikation innerhalb von Gemeinschaften und Gesellschaften.

Galt es bislang als ein nicht hintergehbares Muss, das jede wissenschaftliche Disziplin aus sich selbst heraus plausible Definitionen zu den von ihr verwendeten Begriffen vorlegen musste, so ist das in der KI-Debatte nicht mehr der Fall. Dort werden Begrifflichkeiten vor allem aus Philosophie und Naturwissenschaften einfach übernommen, um angeblich Neues und Revolutionäres vorstellen zu wollen, ohne das vorher klargelegt wird, was aus der Perspektive von KI beispielsweise unter „Denken“ oder „Intelligenz“ zu verstehen ist? So etwas ist unredlich und deshalb wissenschaftlich abzulehnen. Warum redet man eigentlich nicht von maschineller Intelligenz? Das wäre schon mal ein erster Schritt zu Ehrlichkeit.

Beispiel:

Ein Rückblick auf die Entwicklung des Begriffes „Denken“ und die Bemühungen, es erklären und verstehen zu wollen, führt mindestens zurück bis zu dem Vorsokratiker Parmenides von Elea (geb. ca. 540 vor Christus), aus dessen Lehre ich an dieser Stelle nur einen ganz kurzen Auszug wiedergeben möchte, weil seine Philosophie nicht leicht zu verstehen ist:

„Das höchste Denken, wenn es gelingt, erkennt sich selbst als das, was es ist… Das Denken muss dann als Äußerstes jenes Geheimnis erfahren, dessen wahrer Sinn den Menschen verborgen bleibt: dasselbe ist Denken und Sein.“
(aus Diels, Hermann. „Die Fragmente der Vorsokratiker“, Hamburg 1957)

Wir sehen, darüber Klarheit zu erzielen, was Denken sei, ist so einfach nicht, da ich dazu schon mein Denken benötige. Ich kann mich nicht in Distanz zu dem setzen, was ich verstehen will.

Ich möchte damit einen kurzen Hinweis geben, wie behutsam das Verstehenwollen zu geschehen hat. Es eignet sich kaum für Schlagzeilen.

Um hier voranzukommen, entwickelten die Philosophen im antiken Griechenland drei Stufen von Denkformen:

  • Dianoia = Lehre vom Denken als Form der Wahrnehmung
  • Episteme = Die Lehre von Erkenntnis, z. B. die Erkenntnis der Welt der Ideen (Plato)
  • Doxa = Lehre über die Meinungsbildung und die Möglichkeit der Täuschung

Damit noch längst nicht genug. Es beginnt das unendliche Bemühen und Ringen um ein Verständnis von dem zu haben, was Denken sei. Darunter beispielsweise der epochale Irrtum von René Descartes (1596 - 1650) „Ich denke, also bin ich!“ (cogito ergo sum) (aus „Meditationes de Prima Philosophia“, 1641 in Lateinischer Sprache abgefasst)

Sein Fehler, beziehungsweise hier die Richtigstellung: ich als Subjekt existiere und deshalb hat das Denken eine Chance. Es dauerte sehr lange, bis mit seinem Denkfehler aufgeräumt wurde. Ob er bis heute wirklich aus den Köpfen der Menschen gewichen ist, bezweifele ich in Anbetracht der KI-Debatte.

Descartes selbst musste wohl alsbald von Zweifeln befallen sein über seinen Satz, denn er verdeutlichte später genauer: „Nun hatte ich beobachtet, dass in dem Satz: ich denke, also bin ich, überhaupt nur dies die Gewissheit gibt, die Wahrheit zu sagen, dass ich klar einsehe, dass man, um zu denken, sein muss.“

(Descartes, Philosophische Schriften, Felix Meiner Verlag Hamburg, 1996)

Zu nennen ist vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) und dessen „Phänomenologie des Geistes“. Ein wahres Schwergewicht der Philosophie, um dessen Verständnis immer wieder gerungen wurde und wird: es geht um das Problem des Verhältnisses von Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Vernunft!

Einer von zahlreichen bedeutenden Hegel-Forschern war der 1914 in Luzern geborene Philosoph Wilhelm Seeberger, welcher im Alter von 108 Jahren starb und 1968 ein Standardwerk niederschrieb mit dem Titel „Die Menschliche Intelligenz als Entwicklungsproblem“.

Offenbar tritt für Seeberger die menschliche Intelligenz nicht als etwas Feststehendes auf, sondern als ein sich immer Entwickelndes, Bewegtes. Neben dem sich über Jahrhunderte hinstreckenden Bemühen bedeutender DenkerInnen sollte man sich vielleicht mit diesem überschaubaren Standardwerk von Seeberger einmal auseinander setzten, ehe man von Intelligenz redet, wie es aktuell sehr oberflächlich geschieht. Und zwar unter der Fragestellung, „Können Maschinen denken?“

Er lehrt darin:

„Es ist wohl eine der seltsamsten Absonderlichkeiten unserer an einer Vielzahl von ungelösten Widersprüchen krankenden Zeit, dass man sich in ihr, die sie in so hohem Masse wissenschaftsgläubig und wissenschaftsbeflissen ist, ungeachtet der Bedeutung, die der menschlichen Intelligenz als der conditio sine qua non (grundlegende Bedingung) allen wissenschaftlichen Tuns beigemessen werden muss, kaum je ernsthaft mit der Frage befasst, was diese Intelligenz in Wirklichkeit denn eigentlich sei und worin die Voraussetzungen ihrer faktischen Leistungsfähigkeit bestehen. Dieser auf dem ersten Blick paradox anmutende Sachverhalt lässt sich indessen durchaus schlüssig erklären; er ist, was auf Grund der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Abendlandes nachzuweisen keine sonderliche Mühe bereitet, eine zwangsläufige Folge des Umstandes, dass die Wissenschaft vom menschlichen Geist, die in der Antike, im Mittelalter und auch zu Beginn der Neuzeit noch im hohem Ansehen stand und die in der Philosophie Hegels zu ihrer systematischen Ausbildung gelangte, im Laufe der letzten hundert Jahre einer in der Wissenschaftsgeschichte beispiellos dastehenden Vernachlässigung anheimgefallen ist und sich heute, nicht mehr gepflegt und kaum noch tradiert, in einem Zustand befindet, der nicht anders denn als deplorabel bezeichnet werden kann. Diese Sachlage, die in einem entschiedenen Widerspruch zu der Bedeutung steht, die diesem Zweig der philosophischen Wissenschaft ganz allgemein, vornehmlich aber in Hinblick auf die besonderen Verhältnisse unserer Zeit zukommt, steht ihrerseits wiederum in ursächlichem Zusammenhang mit der geistesgeschichtlich leicht erklärbaren und zum Teil auch politisch bedingten Entmachtung der systematischen Philosophie und der Metaphysik, die bald nach dem Tode Hegels einsetzte und die durch den um die Mitte des 19. Jahrhunderts anhebenden Siegeszug des utilitaristischen Rationalismus, des Positivismus, des Materialismus und des einseitig auf die Erfordernisse der Naturwissenschaften ausgerichteten Objektivismus endgültig besiegelt schien. Angesichts des Verlaufes, den die geistesgeschichtliche Entwicklung unter dem unerbittlichen Zwang des Gesetzes der Dialektik seit dem vorigen Jahrhundert genommen hat und der den Fortschritt der menschlichen Kultur ebenso hintanhält, wie er den Zivilisationsprozess beschleunigt, ist es weiter nicht verwunderlich, dass der Geist und dass mit ihm die Intelligenz heutzutage ganz allgemein, im Alltagsleben ähnlich wie im Kreise der Wissenschaften, für ein bloßes Attribut des menschlichen Seins angesehen wird und dass die überwiegende Mehrzahl der Zeitgenossen den Geist gleich wie die Intelligenz für ein so durchaus Selbstverständliches hält, dass ein jeder, der des Lesens und des Schreibens kundig ist, dieserhalb allein schon auch sein Geistes mächtig zu sein wähnt. Diese ebenso oberflächliche wie irrige Meinung erhält zusätzlich noch Auftriebe durch den Umstand, dass das, was man gemeinhin Denken nennt in der Regel rein gewohnheitsmäßig und also ohne ein eigentliches Zutun des Bewusstseins vollzogen wird, es mithin an keine besondere Voraussetzung gebunden zu sein scheint. Dies hat wiederum zur Folge, dass ganz allgemein und selbst unter Hochgebildeten als feststehend angenommen wird, jeder geistig gesunde Mensch könne von Haus aus nicht nur denken, sondern er denke von Haus aus ohne weiteres auch so wie zu denken richtig sei. Die Tatsache, dass es sich bei allen, vornehmlich aber bei den höheren Funktionen des menschlichen Geistes, zu welch letzteren auch diejenigen der theoretischen Intelligenz gehören, um komplexe Prozesse handelt und dass sie gleich wie die individuelle Geisteskraft zudem an ganz spezifische, nicht ohne weiteres gegebene Voraussetzungen gebunden sind, wird in unserer, der Geisteskultur entfremdeten Zeit anscheinend überhaupt nicht mehr bedacht, und so werden sie, gleichviel, ob es sich dabei nun um niedere oder um höhere Funktionen des Geistes handle, normalerweise zumeist denn auch auf ähnlich unbefangene und auf subjektiv ähnlich unbewusste Weise vollzogen wie die elementaren Körperfunktionen.“

Quelle: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1968

Die Extraktion des Steines der Tollheit von Hieronymus Bosch (1450 – 1516) Öl auf Holz, 35 x 48cm, Museo national del Prado, Madrid

Die Extraktion des Steines der Tollheit von Hieronymus Bosch (1450 – 1516) Öl auf Holz, 35 x 48cm, Museo national del Prado, Madrid

Der niederländische Maler lebte und arbeitet während der Zeit des Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit. Es begann ein neues Denken und man erinnerte sich dazu an die Kultur der Antike nach ca. 1000 und baute auf deren Fundament das NEUE auf. Zukunft braucht Herkunft. Und was machen wir? Künstliche Intelligenz?

Für die Künste wird avantgardistisch proklamiert, eine ganz neue Art des KREATIVEN durch KI Tür und Tor öffnen zu können. Auch darin stoße ich wieder auf begrifflich falsche Redewendungen. Wie verwendet man die Bedeutung von „Kreativ“ ganz allgemein richtig und dann im Besonderen in der KI Forschung?

Das Adjektiv „kreativ“ möchte ich deshalb begriffshistorisch ausführlich herleiten, weil es nicht nur in den Künsten, sondern beispielsweise auch in der Ökonomie permanent verwendet wird: ein Konzern sucht einen Manager mit kreativen Eigenschaften… Ideensprühend… usw. Jedoch in falscher Bedeutung. Die Bedeutung von kreativ leitet sich aus dem lateinischen Substantiv „Creator“ ab, womit vereinfacht erklärt, ein Schöpfergott gemeint ist, welcher die Welt und den Kosmos schuf. Also: Ein gottähnlicher Manager? Schön wär’s.

Das Wort kreativ, bezogen auf das künstlerische Schaffen hat zum ersten Mal der Philosoph, Theologe, Mathematiker und Physiker Nikolaus von Kues, auch genannt „Cusanus“ (1401 – 1464), welcher während des Überganges vom Mittelalter zur Neuzeit stand. Von ihm ist bekannt: „De docta ignorantia“ (Über die gelehrte Unwissenheit. Meine Frage, ist das schon absurd?). Er hat eine Unterscheidung vorgenommen von Makrokosmos und Mikrokosmos. Eine platonische Unterscheidung, welche die Welt als Ganzes und die Welt im Kleinen sieht. So wie Gott die Welt als Ganzes geschaffen hat, als Kreator, als Schöpfer des Ganzen, so soll nun der Mensch als Künstler diese Welt im Kleinen ebenfalls schaffen, in Form eines Kunstwerkes. Und dadurch realisiere der Mensch seine Gottesebenbildlichkeit, denn das einzige, was wir von Gott genau zu kennen glauben, ist, dass er der Schöpfer ist. Und wenn nun der Mensch sein Ebenbild sei, dann hat auch er ein Schöpfer zu sein. Kreativ tätig sein heißt analog zum Handeln Gottes, so wie Gott die Welt im Großen, so als Künstler eine Welt im Kleinen zu fertigen. Diese Analogie ist ursprünglich als „Kreativ“ verstanden worden. Und so ist von der Tradition her das Wort kreativ auch sinnvoll. Heute, wenn jemand sagt, er ist kreativ oder schöpferisch tätig, hat er kaum mehr die Intention, dass er hier etwas Analoges macht, so etwas wie Gott mit dem Schöpfungsakt vollbrachte. Ursprünglich wäre so eine Verwendungsweise dieses Wortes sinnvoll, weil man damit sehr deutlich erklären kann, dass hier der Künstler derjenige ist, der ein Analogon zum ursprünglichen Stiftungsakt der Welt herstellt und damit ein Analogon zum göttlichen Handeln als Künstler realisiert. Viel einfacher wäre es zu sagen, ein Künstler als Handwerker produziert. Da jedoch Produktion ein materiell klingender ökonomischer Begriff ist, tönt es viel schicker, zu sagen, „er ist kreativ tätig“. Auch hier wäre es überlegenswert, ob mit dem Wort kreativ, Kunst habe etwas mit Kreativität zu tun, etwas ganz anderes gemeint ist. Diese Begriffsverwirrung zeigt, dass wir ursprüngliche Kunstkonzeptionen gar nicht mehr nachvollziehen können. Darin liegt auch die Gefahr des maschinellen Denkens, dass wir nicht von den ursprünglichen Grundlagen des Denkens ausgehen und sie verlieren.

Begriffshistorisch wäre stattdessen das altgriechische Wort „poiesis“ in seiner Bedeutung als selbstschöpferisches Handeln die richtige Redeweise. Eine poetisierte Kunst würde ja noch gut passen, oder auch poetische Wissenschaften, von denen man in der Zeit der Romantik (ca. zwischen 1795 – 1840) träumte. Jedoch einen „poetischen Manager“ zu suchen, geht wohl eher nicht, obwohl diese Bezeichnung korrekt wäre.

Ich möchte den Blick auf das Selbstschöpferische im Menschen noch vertiefen, weil es so viel über den Menschen in seiner geistigen Personalität aussagen kann.

Dazu vorab eine Frage: Woher nehmen die Menschen den Willen und die Kraft, ganz aus sich selbst heraus schöpferisch sein zu wollen? Selbstschöpferisch? Genau das wissen wir nicht, denn trotz aller Wissenschaft und modernster Forschung ist bis heute nicht zu durchschauen, wie ein Stück Materie zubereitet sein muss, damit ein sich selbst bewusst seiendes Wesen diese Materie aus sich selbst heraus bewegen kann, wie es jeder Mensch mit seinem Leibe tut. Was da geschieht, ist das eigentliche Geheimnis des Lebendigen. Daraus entwickelt sich immer wieder neu die metaphysische Streitfrage nach dem Prinzip des Seins und dem Zweck der Welt.

Unter dieser Voraussetzung kann das selbstständige Denken als eine spezifische Leistung der Intelligenz angesehen werden, dessen Quelle wir nicht kennen. Die Quelle Künstlicher Intelligenz hingegen kennen wir als ein maschinelles Machwerk des Menschen vollgestopft mit Mathematik.

Die Reihe der Beispiele, wie eine geradezu aufgeheizte Debatte über KI und ebenfalls Chat-GPT mit Begriffen geführt wird, welche diese Disziplinen aus sich selbst heraus bislang nie entwickelten, beziehungsweise aus anderen Disziplinen schamlos übernahmen, könnte ich lange weiterführen, um zu klären, warum ich mit Publikationen über KI und Chat-GPT in erhebliche Verstehensschwierigkeiten gerate. Mir erscheint das Allermeiste von Worthülsen geprägt und deshalb falsch und äußerst gefährlich, vergleichbar einer Art Falschmünzerei. Insgesamt entspringt diese Entwicklung allein dem rein rationalen Denken der Menschen. Dabei wird immer wieder negativ mit dem Zeigefinger auf das auch existierende irrationale Element des Denkens gewiesen, als etwas, dass die defizitäre Schwundstufe des Rationalen sei und deshalb unnütz und falsch. Doch das stimmt überhaupt nicht! Der Boden aller Künste ist die Irrationalität, das Nichtlogische! Aus diesem entwickelten die Menschen weitaus bedeutendere kulturelle Leistungen als aus dem Element der Rationalität.

Die scheinbar nicht vollziehbare Loslösung vom Vorrang des rein rationalen Denkens und Handelns  hat unter anderem mit der tiefen Verwurzelung der europäischen Kultur in der lateinischen Sprache zu tun. Das Lateinische ist eine Sprache der Logik und des Rationalen.

Seit dem Zerfall der antiken Kultur um ca. 500 nach Christus blieb die lateinischen Sprache in den ehemals römischen Reichsgebieten noch über 1200 Jahre erhalten und prägte das gesamte Denken des sogenannten „lateinischen Mittelalters“. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts, mit dem Beginn des Aufblühens der Naturwissenschaften, begann sich ein neues Denken aus den einzelnen europäischen Kulturen herauszubilden, aus denen dann die Idee vom „Fortschritt“ hervortrat.

Die Wissenschaften, allen voran die Naturwissenschaften, suchten den wissenschaftlich erkenntnisreichen Fortschritt, welcher immer auch gleichzeitig ein humaner Fortschritt zu sein hatte! Genau dieses Mass und Ziel verlor sich mit der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute. Die Wissenschaften verselbstständigten sich. Die Rede vom „Elfenbeinturm“ machte die Runde. Schlussendlich bestimmt vorrangig Zweck und Nutzen das gesellschaftliche Geschehen in Form einer Welt, die beinahe ausschließlich vom ökonomischen Denken und Handeln diktiert wird. Das gibt auch den eigentlichen Hintergrund für KI ab.

Sich diesen Zwängen zu entziehen, müssen wir dem Rationalen das Irrationale wieder abringen. Denn das Irrationale ist in der Lage, das zu dominant gewordene Rationale auf zu brechen und die äußere Welt dadurch wieder durchsichtig zu machen. Deshalb ist mir die Frage nach dem Absurden so wichtig, deren Beantwortung ich im nächsten Essay weiter betreiben werde.

 Der Jurist von Giuseppe Arcimboldo (1526 – 1593), 1566, Öl auf Leinwand, 71.5 x 58.5cm, schwedisches Nationalmuseum Stockholm

Der Jurist von Giuseppe Arcimboldo (1526 – 1593), 1566, Öl auf Leinwand, 71.5 x 58.5cm, schwedisches Nationalmuseum Stockholm

Der Mailänder Arcimboldo schuf nach Bosch ebenso absurd wirkende Bilder und eröffnete ein neues Denken für die begonnen Neuzeit.

Abschließend möchte ich an den bedeutenden Anthropologen, Zoologen und Biologen Adolf Portmann (1897 – 1982) erinnern, der an der Universität Basel lehrte, welcher das Problem der seelisch geistigen Innerlichkeit, des sich selbst gestaltenden schöpferischen Zentrums des Menschen in seine Forschung einbezogen hat. In seinem Werk „Biologie und Geist“ schreibt er: „Die Forschung weiß, dass sie auf ihrem Weg den Erscheinungen des Geistigen begegnen wird – sie weiß auch, dass ihr Forschungsmittel selbst zu dieser unheimlichen Wirklichkeit gehört, die geistig genannt wird.“ (Herder-Bücherei, B. 137, S. 17)

Portmann weist darauf hin, dass der Geist des Menschen seinen Ursprung im kosmischen Geist hat, dessen Selbstdarstellung das Universum ist und der seine eigene Evolution im Menschen fortsetzt. Der Durchbruch des rein Rationalen zu einer neuen Weltsicht soll uns dorthin führen und damit in ein Gebiet, dass für maschinelle Intelligenz immer unerreichbar bleiben wird.

Zum Schluss ein Lesetip: Hannah Arendt „Vom Leben des Geistes“; Band 1; DAS DENKEN, München: Piper Verlag, 1979