Rede zur Ausstellung "Mythen" | November 23
Es war ein Mal ein wunderschöner Garten. Der Garten gehörte zu einem prachtvollen Schloss. Im Schloss wohnten die Königin und der König und ihre zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen.
Die Kinder hatten alles was sie brauchten: liebevolle Eltern, Spielzeuge, hübsche Kleider, … und noch einiges mehr. Sie spielten im Garten – die Wege waren mit Edelsteinen gesäumt, ein Springbrunnen plätscherte, die Vögel zwitscherten… Aber trotzdem waren die Kinder traurig. Ihre Mutter kam raus und umarmte sie. Sie fragte, „Warum die langen Gesichter? Warum so traurig meine Lieben?“ Die Kinder antworteten, „wir wissen es nicht Mama. Aber wir wissen nicht was wir spielen könnten.“ Ihre Mutter dachte, „oh wäre ich doch noch wie ein Kind und wüsste was meinen Lieben fehlt. Ich wünsche es gäbe noch die Vögel ohne Beinen, die im Himmel schwebten als ich klein war und ihre Schönheit mich faszinierte.“ Als sie das dachte, erschien so ein Vogel am Himmel, er flog runter zu der Familie und setzte sich in den Schoss der Mutter. Die Kinderaugen wurden gross vor Wunder. Zaghaft streichelten sie den Vogel der sie mit ruhigen Blicken ansah. Unter seinem prachtvollen farbigen Kleid, sahen sie pechschwarze Federn hinaus gucken. Dann blinzelte er und flog davon. Zuerst waren die Kinder wieder traurig, dann entdeckten sie ein Ei in dem Schoss ihrer Mutter. Ein wunderbares, goldiges Ei. Zuerst berührte es der Junge, dann seine Schwester, und zuletzt legte die Mutter ihre Hand darauf. Als alle drei das Ei anfassten, brach es auseinander und heraus flog… es war kein Vogel, es war kein Tier, es entzückte die Kinder. Es spielte mit den Beiden. Verstecken. Manchmal trog es sie davon auf dem Rücken in fantastische Länder wo Drachen leben. Manchmal schwamm es mit ihnen im Teich und sie entdeckten wunderbare Unterwasser Welten. Denn im Ei war… die Phantasie. Und endlich waren die Kinder glücklich und ihr Lachen hallte durch den Garten. Ihre Mutter war eben so glücklich, denn nun hatten Ihre Kinder wirklich alles was sie brauchten.
Das ist ein Märchen von Ludwig Bechstein, frei erzählt von mir. Ich habe mich einige Zeit damit befasst und mich auch künstlerisch davon inspirieren lassen.
Erlebten Sie diesen Garten mit? Konnen Sie an etwas glauben, was nicht ist, aber doch ist, zum Beispiel an Mythen? An Geschichten? An Wunder?
Wir können nicht erklären wie ein Stück Materie beschaffen sin muss, damit sich darin ein Stück sich selbst wahrnehmendes Leben entwickelt so wie es jeder Mensch in seinem Leibe tut. Das ist das eigentliche Geheimnis des Lebens. Weil wir das wissen wollen, müssen wir durch die Fähigkeit überhaupt glauben zu können, über die reale Welt hinaus gehen. Um diese Frage zu beantworten betreiben wir Metaphysik, aber das ist schwierig weil wir nicht wissen wo das Wirkliche von dem wir umgeben sind endet und deshalb das Wirkliche nicht verlassen können. Warum versuchen wir es trotzdem immer wieder (wie Sissyphus)? Das ist die geistige Bewegtheit in uns – wir suchen immer den Weg zurück zum Geist, das heisst zu den Quellen aus denen unser Leben strömt.
Was sind Mythen?
Mythen sind Wissen vor aller Erfahrung. Sie sind Urformen die wir für unser Leben deuten können. Ein Wissen was dem Menschen zufließt vor jeder persönlichen Erfahrung mit der realen Welt. Das ist der Beginn von jeder Wissenschaft und wir nennen diese Begegnung des Menschen mit dem Wirklichen Intuition.
Diese Weiterentwicklung des Menschen aus der Intuition heraus führte dann zu einem imaginativen und danach zu einem Inspirierten Weltbild: also Imagination und Inspiration. Ich bitte Sie zu verstehen, dass ich heute darauf nicht weiter eingehen kann, das würde zu lange dauern.
Psychoanalyst Rollo May, in seinem Buch „The Cry for Myth“ schrieb: “Der Mensch ohne Mythos ist ein Mensch ohne Heimat... die Einsamkeit der Mythenlosigkeit ist die tiefste und am wenigsten zu besänftigende von allen. Unverbunden mit der Vergangenheit, unverbunden mit der Zukunft, hängen wir wie in der Luft.“ (The Enchanted Life, Sharon Blackie, p. 161).
Wir sind uns gar nicht bewusst, dass wir uns alle fortwährend Geschichten erzählen. Ist unser Leben nicht eine einzige Geschichte? Aber wir brauchen nicht mehr nur die Geschichten von einstmals, z. Beispiel Heldengedichte die die Welt besiegen sondern neue Mythen, die uns Verzauberung, Entzückung, Staunen vermitteln, statt Kampf und Krieg? Im Bild, „Mythmakers“ sehen Sie eine gruppe Frauen die Geschichten erzählen. Was erzählen sie uns den nur?
In Zeiten von KI und den grassierenden falsch verstandenen und falsch gelebten Materialismus ist unsere Glaubensfähigkeit bedroht. Aber ohne Glauben haben wir nichts mehr. Wir müssen Glauben (ich rede hier nicht von Religion), damit wir überlebensfähig bleiben. Wir sind eben aus Geist und Materie und haben eine Seele – wie die Welt auch, wir leben in einer beseelten Welt und sie lebt in uns. Wenn die Welt keine Seele hätte könnten wir uns nicht mit ihr in Beziehung setzten, denn nur bekanntes kann sich in Beziehung setzten.
Tiere und Natur gibt’s erst durch die Erkenntnis des Menschen. Beide können sich nicht aus sich selbst heraus interpretieren. Ohne den Menschen würde die Welt nicht wahrgenommen werden und würde dadurch nicht existieren. Wir können daran arbeiten Weisheit über das Leben zu erlangen wie wir durch Kunstphilosophie uns daran arbeiten was ein Kunstwerk zu einem Kunstwerk macht. Die Kunstkraft im Menschen ist die Kraft Formen zu bilden, etwas verwirklichen zu wollen. Eine Form Kraft.
Diese Kraft hat jeder Mensch. Auf sie kann er nicht verzichten weil es die Kraft zur Formbildung ist. Durch die Kunstkraft ist er in der Lage Lebensformen zu entwickeln und zwar in der Mitte Zwischen dem Reich der Sinne und dem Reich der Vernunft. Wir können sagen Kunst ist eine Kraft im Menschen die zur Bildung der Formen sogar notwendig ist. Darum ist Kunstunterricht in den Schulen von größter Wichtigkeit. Wie sollen wir sonst lernen unserem Leben eine Lebensform zu geben? Genau diese werden in den Schulen nicht mehr vermittelt. Es wird nur noch Wissen vermittelt, ohne die dazugehörenden Formen. Deshalb vergessen Schüler alles weil sie kein Bild haben, und können somit über kein Wissen verfügen. Es trifft sie keine Schuld, wenn sie stetes gut informiert sind aber nichts wissen.
Im Korinther I, Vers 13 schreibt Paulus wir brauchen Glaube, Liebe, Hoffnung.
- Wir müssen glauben das es Liebe gibt
- Wir müssen glauben das es Hoffnung gibt
Somit kann man sagen, die höchste Form des Glaubens zeigt sich in der Liebe.
Diese Grundsätze sind alle nicht mit Wissenschaft beweisbar, aber zentraler als alles andere.
Die Wunderfähigkeit und Glaubensfähigkeit müssen wir zurückgewinnen. Sonst trocknen wir ein. Wir brauchen das NICHT Messbare – wie ich seit einiger Zeit mit meinem Mentor, Martin Rabe in den Essays die wir im ART Letter publizieren untersuchen. Das ist ein Gefühl. Damit bekommen wir ein Gefühl für die Wirklichkeit. Wir haben immer schon Geschichten erzählt um zu erklären wie die Welt ist. Mythen und Märchen bieten eine Welt voller „participation mystique“ (p. 50, The Enchanted Life) – eine Welt in der Menschen mit allem was ist verbunden sind. Dieses Gefühl der Ehrfurcht, der Zugehörigkeit zu einer geheimnisvollen Welt mit vielen Tiefen und Schichten, die es zu erforschen gilt, fehlt heute im Leben so vieler.
Sharon Blackie, in ihrem Buch „The Enchanted Life“ das ich jedem empfehle, sagt, „Auf welcher Reise wir uns auch immer befinden, Mythen und Märchen können unseren Sinn für das Mögliche prägen und uns befähigen, die Herausforderungen des Lebens nicht nur zu bewältigen, sondern intensiver und reicher in der Welt zu leben. Denn in jedem archetypischen Märchen geht es auch um spirituelles Wachstum“. (p. 136, The Enchanted Life)
Das Messbare bringt ein ganz großes Problem mit sich: und das ist, wie kürzlich auch in der NZZ am Sonntag festgestellt: der Wissenschaftler beeinflusst mit seinem Subjekt maßgeblich seine Messungen. Das heißt auch das Messbare ist subjektiv und ungenau. Der Wissenschaftler kann sich nicht trennen von seinem Subjekt. Und wir können die Beweise die der Wissenschaftler liefert nicht ohne unser eigenes subjektives Erleben, unsere Gefühle, annehmen.
Zurück zur Mythen. Mythen und Geschichten sind wichtig, damit wir andere Möglichkeiten für unser Leben sehen. Genau wie Kunst. Martin Heidegger sagte, „Grosse Kunst verschafft uns Augen für etwas, was wir vorher nicht sehen konnten. Kleine Kunst macht nur Formwandel von Bestehendem.“ Genau wie Geschichten und Mythen unsere Gedanken öffnen können für unser Leben. Wie es Sharon Blackie in England macht. Oder Carl Gustav Jung lehrte. Wir haben alle einen Weg zu gehen, aber auf diesem Weg sind Wunder zu entdecken, das Numinose zu finden. Der erste Anblick eines Neugeborenen. Der glückliche Empfang vom Hund. Das Rotbrüstchen das immer wieder zurück kehrt und einem besingt während man malt (ist mir passiert). Und dieses Wunderbare hebt uns aus unserem Alltag hinaus und zeigt uns, es gibt noch viel mehr auf der Welt. Mehr Tiefe, mehr Unerklärliches, mehr Metaphysik, mehr Geschichten als wir im alltäglichen erleben.
Darum, lade ich Sie ein, ihr Glauben an die Wunder, ihr Glauben an das Gute, das Schöne, die Liebe wieder hervor zu holen. Ich wünsche einen beflügelten Nachmittag mit meinen Werken – die alle ein neues Zuhause suchen, wo sie weiterhin gesehen werden. Denn Kunst die nicht erlebt wird existiert nicht. Genau wie eine Welt die nicht erkannt wird nicht existiert. Wir haben alles geschenkt bekommen, aber ohne Phantasie, ohne Kunstkraft, sind wir unglücklich wie die Kinder in der Geschichte.
Ein handgefertigtes Objekt ist eine Investition - und ein Bekenntnis zur Langlebigkeit in einer Welt, in der vieles zum Wegwerfartikel geworden und leicht zu ersetzen ist. Verzauberte Häuser sind Orte, an denen das Handwerkliche, das Handgemachte, mehr geschätzt wird als Massenware, Orte, an denen jeder Gegenstand sorgfältig ausgewählt, geliebt und geschätzt wird.
Der britische Designer William Morris sagte,
„Have nothing in your houses that you do not know to be useful or believe to be beautiful.”
Ich übersetzte das für Sie so:
„Habe nichts in deinem Haus das nicht brauchbar UND Schön ist!“
Ich wünsche in diesem Sinne einen verzaubernden Nachmittag mit vielen tollen Geschichten...
© Sibylle Laubscher
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