Von Kunst & Kunsthandwerk
Es gab eine Reportage auf dem Sender SRF, Kulturplatz, am 7. September 2022 „Von Kunst und Kunsthandwerk“, in welcher die Journalistin Eva Wannenmacher unter anderem die schweizweit einzige Schule für Holzbildhauerei in Brienz besucht. Ein Hauptgrund für diese Reportage sei das enorm gestiegene Interesse am Kunsthandwerk. Man sieht darin eine Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung unserer gesamten Lebenswelt, in welcher das sogenannte „von Hand-Gemachte“, haptische Unikat, mehr und mehr verschwindet, beziehungsweise sich eine Art von Gleichmacherei in fast sämtlichen Lebensvollzügen der Menschen ausbreitet.
Einer starken Enttäuschung folgend, die mich nach der Sendung erfasste, möchte ich darüber mit meinem Lehrer, dem Deutschen Maler und Kunstphilosophen, Martin Rabe (geb. 1942), sprechen.
Laubscher: Die ganze Sendung wirkte wie durchdrungen von dem in der Schweiz beliebten Selbstbild: unser doch so schönes Land, in dessen Geborgenheit glückliche Menschen leben und ein vor allem so glückliches Landleben existiert mit ebenso glücklichen Kühen, leuchtenden Bergen, romantischen Seen und Tälern. Zur eigentlichen Thematik gab es fast nichts.
Rabe: Die Schweizer sind professionelle Verpackungskünstler! Das können die bis zur Selbstverpackung, indem sie sich von einem Wilhelm Tell einwickeln lassen, den es anscheinend nie gab und zudem von einem Deutschen, Friedrich Schiller, erfunden wurde. Prompt wurde Schiller auch in der Sendung beispielhaft herangezogen. Die Kunst des Verpackens erreicht einen gewissen Höhepunkt dann, wenn jeweils schmutziges Geld zu sauberem Geld verpackt wird und auf unzähligen Schweizer Produkten das Schweizer Kreuz der Nationalflagge erscheint, auf der Verpackung weniger als Kreuz, sondern weit mehr als ein „Pluspunkt“ werbewirksam wirkt.
Die Kunst des Verpackens ging in dieser Sendung dann so weit, dass man eine Angelegenheit in eine Frage packte, die als solche gar nicht existiert: Was ist der Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk? Folglich können dabei nur dümmliche Allgemeinplätze herauskommen, wenn man Fragen beantwortet, die keiner ernsthaft stellen kann. Darauf kommen wir ja im Einzelnen noch genau zu sprechen. Da ich gerne schreibe, fielen mir nach der Sendung diese drei Zeilen ein:
Friede herrscht im Schweizer Land,
Wenn durch Handwerksmeister Hand,
Fließt sehr spezieller Kunstverstand.
Laubscher: Genauer gefasst sollte der Frage nachgegangen werden, wo hört Handwerk auf und wo fängt Kunst an? Dazu wurde ausgiebig mit verschiedenen HandwerkerInnen geredet. Sie gaben Auskunft über das Entstehen eines gewissen „Kunstwollens“ in ihnen während der Arbeitsgänge und danach folgend die glückliche Erfüllung in Kunst.
Darüber, was denn Kunst ihrer Existenz nach sei und bedeutet, verlor man kein Wort, so als wäre dies allseits klar und bekannt. Da kann ich nur sagen: Thema verfehlt! Darüber ärgerte ich mich deshalb besonders, weil gerade in der Gegenwartskunst schon lange nicht mehr klar ist, ja gar nicht mehr gefragt wird, was ein Kunstwerk zu einem Kunstwerk macht? Alles ist verwischt in ein unendliches Gerede, denn „Kunst ist das, was man zu Kunst erklärt“. Eine oft herangezogene These, die deshalb völlig nichtssagend ist, da Kunst immer schon von dem Erleben des Rezipienten abhängig war und dem, wie er sie erlebt, versteht, und zur Aussage bringt. Dieser Rezipient muss jedoch über Wissen und Deutungsfähigkeiten verfügen und genau dies fehlt gegenwärtig fast allen. Das Wissen über Kunst fehlt und dies trat bei sämtlichen TeilnehmerInnen und Kuratoren dieser Reportage krass zu Tag. Sie äusserten sich zu etwas, verpackt in etwas, was sie nicht kennen.
Rabe: Der irrationale Charakter der Kunst scheint es zu erlauben, dass ein jeder über sie reden kann, wie es ihm gerade beliebt: „Verbalisierte Ideenkunst“ nennt man dieses Gehabe. In Wirklichkeit ist die Irrationalität der Kunst nur eine andere Form der Rationalität und auch nur in der Kunst möglich. Das kann es im Handwerk überhaupt nicht geben. Beispiel: wir weichen unserer Lebenswirklichkeit nicht sicherer aus, als durch die Kunst; und man verbindet sich nicht sicherer mit ihr, als durch die Kunst. Diese Freiheit der Kunst spielt sich in der Freiheit des Bewusstseins der Menschen ab und deshalb entsteht Kunst im Bewusstsein der Menschen immer als „Idee“.
Dazu gab es gleich zu Beginn der Sendung eine ganz typische schwere aber stets sehr gut klingende Fehlinterpretation: der Handwerker habe alle Sorgfalt darauf zu verwenden, „materialgerecht“ zu arbeiten. Genau das gibt es in der Kunst gerade nicht, sondern das Gegenteil: die Kunst will die Materie, das Material gerade überwinden, hinter sich lassen und als eine „Idee in Material“ erscheinen. Schiller spricht von dem Marmorblock, welcher durch die Hand des Künstlers zu einer „Idee in Marmor“ seine Natürlichkeit überwindet und Geistiges offenbart.
Dazu fällt mir ein passendes Zitat von Auguste Renoir (1841 – 1919) ein: „Welche Bedeutung man auch immer den Nebengründen beim Verfall unserer Handwerke beimessen will, der Hauptgrund ist meiner Meinung nach das Fehlen jeglichen Ideals. Die geschickteste Hand ist immer nur die Dienerin des Gedankens. Deshalb befürchte ich auch, dass alle Versuche, uns die alten Kunsthandwerker wieder zu geben, nutzlos sind. Selbst wenn es möglich sein sollte, in unseren Berufsschulen geschickte Arbeiter heranzubilden, die die Technik ihres Handwerkes vollkommen beherrschen, so wird mit ihnen nicht viel anzufangen sein, wenn sie kein Ideal besitzen, das ihnen als Massstab für ihre Arbeit dient…die Malerei ist ein Handwerk wie die Tischlerei oder die Schmiedekunst, sie folgt denselben Regeln.“
Die Idee, welche im Bewusstsein des Menschen entsteht und als Ideal frei von jedem Zweck und Nutzen ist, ist die Mutter der Künste.
Ahnungsvoll spricht dies der Vorsokratiker Xenophanes (verstorben 478 vor Christus) aus, der sich Gedanken darüber machte, wie es im Menschen zum Auffinden von Formen der Kunst kommen kann? Und seine bis heute gültige Erkenntnis lautet: „Bewusstseinswandel bewirkt Formwandel.“ Und deshalb spiegeln sich die Künste in allen Lebensbereichen des schaffenden Menschen und bilden Verhältnisse: zur Religion, zur Natur, zur Gesellschaft, zu den Wissenschaften, zur Geschichte, und vor allem zur Ideenwelt der Menschen. Die Kunst zielt auf Weltsicht. All dies kann aus Handwerk nicht fließen und durch Handwerk erfasst werden. Es bedarf zwar des Handwerkes, denn ohne Handwerk öffnet sich kein Talent des Menschen. Das meinte wohl Renoir. Kunst ist eben eine freie Ausdrucksform des Menschen, so wie die Sprache, der Gesang oder seine Bewegungen. Sie ist frei von allen Zwecksetzungen und zielt nie auf das Brauchbare. Doch genau dieses tut das Handwerk. In der Sendung erklärt der Kurator: man habe heute den Unterschied zwischen Kunst und Kunsthandwerk aufgelöst. Der Beruf habe sich modernisiert, um im Handwerk freier zu sein.
Laubscher: Wenn Modernisierung angesprochen wird, dann kann man das verantwortlich nur tun, wenn über das Vorhergewesene, die Historie, etwas gewusst und gesagt wird. Doch davon hörte man natürlich nichts, das ist wieder ganz typisch: fehlendes Wissen!
Als Schweizerisch-Britische Staatsbürgerin habe ich allerdings dazu sehr viel vorzutragen, denn ihre Wurzeln hatte die Verbindung von Kunst und Handwerk im ausgehenden 19. Jahrhundert in Großbritannien und Irland. Dort hatte durch die frühe Industriealisierung bereits in vielen Bereichen des Handwerks industrielle Massenproduktion Einzug gehalten und das traditionelle Handwerk verdrängt. Die Hässlichkeit der Gestaltung außerhalb jeglicher ästhetischer Kriterien, Schäbigkeit der Ausführung, gekoppelt mit billigen Ersatzmaterialien deutete man als eine Verkrüppelung menschlicher Tugenden wie auch jeglicher kunstorientierter Schaffenskraft. Die Idee des Fortschrittes bedrohte die Schönheit alter handgefertigter Produkte und als eine nostalgische Reaktion darauf forderte man, dem Handwerk wieder Kunstcharakter zurück zu geben. Kunst aus Nostalgie und nicht aus dem Willen zur Kunst. Einmaligkeit sollte die Gestaltung wieder zieren, der Charakter des Unikates. Niemand kam auf die Idee, Handwerk könne Kunstwerke hervorbringen, sondern man bediente sich lediglich der Ausdrucksweise als Kunstcharakter, um sich von der maschinellen Herstellung zu distanzieren: Kunst gegen Maschine! Wie zur Anfang gesagt: die gestellte Frage dieser Sendung gibt es nicht.
Ende des 19. Jahrhunderts übernahmen neben England und Irland vor allem die Monarchien Österreich und Deutschland eine führende Rolle darin, das Handwerkliche zu retten. Die erste Fachhochschule für Holzbearbeitung wurde 1870 in Hallein, Österreich gegründet als „Holzschnitzerei-Schule“. In Wien und vor allem in Vorarlberg entwickelten sich Ausbildungsstätten für Textilbearbeitung, für Keramiken war Böhmen ein bedeutendes Zentrum; Glasfachschulen dann in Tschechien und Tirol; Goldschmiede- und Metalverarbeitung in Steyr, Felach und Fulpmes, alles in Österreich und Tirol.
Diese Entwicklungen fanden in der Schweiz so gut wie gar kein Echo. Deshalb sollte man mit dem Begriff „Modernisierung“, wie in der Reportage erwähnt, hier nur sehr begrenzt argumentieren.
Rabe: Zum notwendigen historischem Wissen fällt mir dazu die Vorstellung des Buches zur Farbenlehre ein, welches in dem Beitrag als „Gesamtkunstwerk“ hervorgehoben wurde. Einmal ganz abgesehen davon, dass es trotz Versuchen genialer Künstler bis heute nicht gelang, überhaupt ein Gesamtkunstwerk zu erschaffen, aus der Verbindung von Bild, Ton und Wort, hat eine Farbenuntersuchung allenfalls etwas mit Wissenschaft zu tun, jedoch nicht mit Kunst. Einer, welcher hier wunderbare Versuchsreihen herstellte, war der Maler der Romanik und Zeitgenosse Goethes, Philipp Otto Runge (1777 – 1810). Seiner Kunsttheorie fügte Runge eine Schrift über die Farbenkugel hinzu, über die er mit Goethe (1749 -1832) korrespondierte. Außerdem erschuf er das erste drei-dimensionale Farbsystem. Das Fazit seiner Farbenlehre fasste er in dem einfachen Satz zusammen: „Am Ende entscheidet das Gemüt!“ … im Malprozess vor der Staffelei!
Das in der Sendung vorgestellte voluminöse Buch ist eventuell interessant für Druckfachleute. Allerdings könnte da auch rasch der Einwand kommen: im traditionellen Kupfertiefdruckverfahren druckte man immer schon weit über 10 Farben übereinander, zum Beispiel beim Druck von Briefmarken und Geldscheinen, aber auch im Kunstdruck der allerfeinsten Art.
Laubscher: Ich studierte Textilkunst in Manchester und danach die freie Kunst der Malerei. Ich kann nur sagen, dass da Welten dazwischen liegen. Und wenn hier Arbeiten von der Schweizerin Sophie Taeuber Arp (1889 – 1943) als Beweis für den fließenden Übergang von textiler Kunst zur freien Kunst des Abstrakten angeführt werden, dann kann man darüber unterschiedlicher Meinung sein, denn ihre abstrakten Bilder tendieren sehr stark in Richtung von Mustern, was rasch geschehen kann, wenn man sich so wie sie der geometrischen Abstraktion zuwendet. Abstraktion entsteht dadurch, dass man sich als Künstler sehr weit von der gegenständlichen Natur entfernt. Jedoch nie ganz, denn ein sogenanntes „Restnatürliches“ muss im Kunstwerk erhalten bleiben, damit dem Betrachter die Möglichkeit bleibt, sich mit dem Werk in Beziehung zu setzten. Er selbst ist eben auch ein Naturwesen, und nur so kann sich Bekanntes in Beziehung setzten. Fehlt dieses Restnatürliche entsteht reine Geometrie. Diese gehört zur Mathematik und ist aus sich selbst heraus nicht zur einer Kunstaussage geeignet. Deshalb wirken die Werke der geometrischen Abstraktion nicht selten menschlich kalt und der Streit darüber, ob sie Kunstwerke sein können, ist bis heute nie beigelegt worden.
Um noch ein Beispiel aus der Sendung anzuführen: wenn dann eine Goldschmiedin meint, eine geschmeidige Kette mit einzelnen Goldplättchen durch Buchstaben eines Gedichtes krönen zu müssen, um dadurch die Kette zum Kunstwerk zu steigern, handelt es sich allenfalls um durch Buchstaben veredelte Goldplättchen. Mehr auch nicht, denn die Weltsicht der Kunst haftet der geschmeidigen Kette nicht an.
Rabe: Im Gerät und Werkzeug ist der Mensch lediglich mit seiner technischen Intelligenz gegenwärtig. Im Kunstschaffen jedoch als ganze Person.
So ist das Kunstwerk mit der Personalität des Kunstschaffenden verwoben, und wo die Sphäre der geistigen Personalität des Menschen nicht gelebt wird, ist Kunst nicht möglich.
Ich fasse zusammen: macht der Mensch mit seiner technischen Intelligenz das Brauchbare, so als geistige Person das Wesenhafte.
Beenden wir die Kritik an dieser Sendung des SRF, der wir einen gewissen Unterhaltungswert, wie zu Anfang geschrieben, zugestehen, mit einem Zitat des Philosophen Martin Heidegger (1889 – 1976) welcher sich in seinem Werk: „Der Ursprung des Kunstwerkes“ in das Wesen der Kunst vertiefte:
„Grosse Kunst verschafft uns Augen für etwas, was wir vorher nicht sehen konnten. Kleine Kunst macht nur Formwandel von Bestehendem.“
Laubscher: Aber noch einmal: ist „Kunsthandwerk“ nun ein richtiger Begriff oder nicht?
Rabe: Richtiger wäre: das Handwerk der Kunst. Kunsthandwerk ist eine umgangssprachliche Redewendung, die nicht richtig ist. Aber gegen umgangssprachliche Redewendungen kämpfen Götter selbst vergebens.
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