• Künstliche Intelligenz und das Absurde Teil IV (Schluss)

Künstliche Intelligenz und das Absurde Teil IV (Schluss)

In den bisherigen Ausführungen zur Existenz des Absurden in unserem Dasein versuchte ich, dieser Gefühls- und Denkart der Menschen wieder ernsthaft zu begegnen und nicht ausschließlich dem üblichen rein rationalen Denken die Oberhoheit zu überlassen. 

Besorgnis im höchsten Masse bereitet mir das zunehmende Unverständnis für die schöpferische Kraft des Irrationalen. Dort nämlich ist der Ort der Kunst und die Quelle der Ideen. Diese Tatsache zu negieren wirkt immer bedrohlicher und zwar direkt für die Menschen selbst. Rationalität und Kausalität vor allem in Naturwissenschaft und Technik führten zu deren große Erfolge in der Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Doch nicht nur! Denn die Erfolge der Naturwissenschaften hinterlassen zum überwiegenden Masse Ängste in den Menschen. Ich verweise hier nur auf die atomare Bedrohung, der Klimazerstörung, Umweltprobleme durch Kunststoffe und Kunstdünger, Glyphosat usw., so dass diese Erfolge den Menschen ängstigen, zur Orientierungslosigkeit und zu gesellschaftlichem Chaos führen. Um dem zu begegnen reicht nicht der Rückgriff allein auf die Vernunft, sondern nur die verstärkte Hinwendung zu sogenannten komplementären Gegensatzpaaren, wie der Physik-Nobelpreisträger Wolfgang Pauli 1958 erklärte. Er spricht von der „bösen Hinterseite der Naturwissenschaften. Doch wir erforschen die Natur, um Erfüllung im Denken und Fühlen zu finden.

Wenn die Rationalität Schiffbruch erleidet (Atombombe, Umweltzerstörung) hilft nicht der Rückgriff auf die Vernunft, sondern die Besinnung auf komplementäre Gegensatzpaare.

Die in Frage stehenden komplementären Gegensatzpaare sind für mich:

Bewusstsein – Unbewusstes (Anmerkung der Redaktion: nicht Unterbewusstes)
Denken – Fühlen 
Vernunft – Instinkt
Logos – Eros

Die sprachliche Fixierung zu Gunsten der einen Hälfte eines solchen Gegensatzpaares ist nur das sichere Symptom, das die menschliche Ganzheit psychologisch nicht erreicht oder sogar blockiert ist.“

Schon Immanuel Kant sagte, dass die Vernunft so vernünftig sei, darauf hinzuweisen, dass man mit ihr nicht alles erfassen und ordnen kann. Es gäbe Grenzen der Vernunft. 

 Ganz im Gegensatz dazu: das sich Widersprechende, das Absurde ist geradezu prädestiniert, den „Käfig des Rationalen“ zu sprengen, um auf diese Weise unserem Denken und unserem Bewusstsein die notwendige Freiheit wieder zurück zu geben.

Schlussendlich fand ich heraus, dass noch am ehesten die Kinder in der Lage sind, offen für Widersprüchliches, sich Widersprechendes zu sein, um daraus ihrem Denken und ihren Gedanken völlig unbeschwert freien Lauf zu lassen. Und tatsächlich setzt man den Beginn des Absurden Theaters solcher bedeutender Autoren wie Eugene Ionesco und Samuel Beckett in einer französischer Schule und ihrem Schultheater fest.

Doch bevor ich darüber schreibe, möchte ich auf eine Form des Absurden hinweisen, welche die Möglichkeit einer wiedergewonnenen Freiheit nicht erreicht, sondern sogar verfehlt.

Wie vorher erwähnt, führte vor allem der Glaube an die Macht der Naturwissenschaften, des sogenannten Positivismus und die sich daraus entwickelnde Fortschrittsgläubigkeit der Menschen zu einem Trugbild. War bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Gedanke des wissenschaftlich-technischen Fortschrittes immer untrennbar verbunden mit humanem Fortschritt, so fegten diese gute Zweisamkeit zwei Weltkriege vollkommen hinweg. Aus dieser menschlichen Not suchte vor allem dann eine jüngere Generation Halt auf dem schmalen Grad der existenzialistischen Philosophien heideggerscher- oder sartrescher-, camuscher-Prägung. Seit dem sich der wissenschaftliche Fortschritt mit seinen drei Thesen durchsetzte:

-          Mehr Macht über die Welt zu erlangen;

-          Das Machbare sei das Wahre;

-          Und das rational Planbare sei das Gute

ging das Vertrauen in die Wissenschaft für diese Generation ebenfalls verloren. Vertrauen ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass Wissenschaft von den Menschen angenommen werden will. Die Sinnlosigkeit der Existenz bildet den Kern der Existenzphilosophien. Das „Ins-Dasein-geworfen-Sein“ sei die einzig haltbare Erkenntnis. Jedoch: eine daraus logisch folgende Frage wurde nie beantwortet, weil sie nie gestellt wurde: wer hat denn da geworfen? Auf diese Frage kam man gar nicht. Es blieb das weitverbreitete Gefühl der Absurdität menschlicher Existenz in dem Aufgeben aller transzendentalen, jenseitigen Sphären. Der Mensch blieb in sich selbst beschlossen. Der Tod sei ein „metaphysischer Skandal“ behauptete Sartre.

Aus dem Nichtwissen und der Wissensunterdrückung über das Woher und Wohin des Menschen wachsen Orientierungslosigkeit und Ängste. Metaphysische Ängste wie beispielsweise in Albert Camus‘ Buch: „Der Mythos von Sisyphus“ (ich erinnere an Teil 1 meines Beitrages). Dort heisst es an einer Stelle: „… fühlt sich der Mensch als Fremder. Aus diesem Exil gibt es keinen Ausweg, weil es in ihm keine Erinnerung an eine verlorene Heimat und keine Hoffnung auf ein Gelobtes Land gibt. Diese Scheidung des Menschen von seinem Leben, des Schauspielers von seinem Hintergrund ist genau das Gefühl der Absurdität.“

Doch genau dieses Gefühl vermittelt ebenfalls die KI. Darauf komme ich noch genauer zu sprechen. An dieser Stelle ist ein wichtiges Argument gegen die KI zu setzten. Für die maschinelle Intelligenz, oder sagen wir besser maschinelle Datenverarbeitung, oder noch besser, die datenbasierten Systeme ist es ebenfalls unmöglich, auf die lebensnahe Suche der Menschen nach Transzendenz zu reagieren.

Mir geht es nicht um das Absurde als existenzielles Gefängnis, in welches man hinein geworfen wurde, sondern um sein positives Potential des guten geistigen Anarchismus. Diesen geistigen Anarchismus pflegte jeder bedeutende Künstler, indem er alte ihm bekannte Formen aufbrach, um in sich nach neuen Formen zu suchen.  

Ionesco und Beckett (und all die hier nicht genannten Autoren des absurden Theaters, allen voran Georges Schéhade) gingen einen entscheidenden anderen Weg. Sie verzichteten auf eine rationale Darstellungsweise, betraten die Sphäre seelischer Absurdität und schufen Formen, um diese künstlerisch zur Darstellung zu bringen. Ionesco, dessen Eindrücke oder besser gesagt Einbrüche in den Bereich einer anderen Wirklichkeit, einer neuen Gewissheit, Sicherheit und Abstand von der bedrückenden alltäglichen Wirklichkeit der körperlich gebundenen Existenz der Menschen sucht, empfiehlt in seinem Theaterstück: „Die kahle Sängerin“: „man muss im Leben aus dem Fenster schauen, denn in Wirklichkeit ist alles anders!“

Samuel Beckett lässt in seinem Werk „Endspiel“ Nell in ihrer Mülltonne sitzend, ausrufen „nichts ist komischer als das Unglück, das gebe ich zu…

Quelle: 

Der Literaturwissenschaftler Martin Esslin, wohl einer der besten Interpreten dieser Kunstrichtung, weißt in seinem umfassenden Werk „Das Theater des Absurden“ auf die Vorläufer des Absurden hin und sieht in der neuen künstlerischen Form einer Art Rückbesinnung auf alte archaische Traditionen. „Von dort aus lassen sich Anregungen gewinnen, sich dem Wesen des Absurden zu nähern, zu einem lebensvollen Ausdruck des Bewusstseinswandels, welcher sich in der Gegenwart vollzieht und not-wendigerweise auch vollziehen muss.“

Die in England bekannte Form der Nonsens-Dichtung bewegt sich weder in der physischen Schicht des Seins, noch in der biologischen oder geistigen, sondern in der rein seelischen Sphäre, im leeren Reich rein seelischer Existenz. Dort, im Raum dieser Freiheit sucht jeder wahre Künstler nach dem, was über das Gegebene der Schöpfung hinaus führt zum Möglichen. Dieses neue Mögliche gewinnt nur dann seine innere Berechtigung, wenn es tatsächlich eine neue Form des Wirklichen herausarbeitet. Es geht immer um die Verbindung von Form und Inhalt. Das Auftreten des Absurden ist nur dann berechtigt, wenn es in einer Form erscheint, welche Ausdruck ist einer bestimmten Geisteshaltung des Künstlers. Dann ist es keine sinnlose Form. Psychologische Zustände dinglich vergegenständlicht auf die Bühne zu stellen, ist die Basis.

Sigmund Freud beispielsweise schrieb in einer Studie über die Quelle des Komischen, dass die Lust am Unsinn ihre  Wurzeln im Gefühl der Freiheit habe, dass uns ergreift, wenn wir einmal die Zwangsjacke der Logik ablegen können.

So gilt es festzuhalten und zu unterscheiden: dasjenige was wirklich Absurd gegenüber dem was nur scheinbar Absurd ist. Im Kern ist das keine Stilfrage, sondern eine Frage der radikal anders georteten geistigen Perspektive, die jeweils ins Offene führt.

Ein daraus folgender Streit unter den Theoretikern des Theaters möchte ich nicht unerwähnt lassen. Es ging ihnen um eine Antwort auf die Frage: handelt es sich um ein Theater des Absurden, oder um absurdes Theater?

Auf die erste Frage habe ich eigentlich bereits vorher schon eine Antwort gegeben: das Absurde als eine Schicksalsform der Menschen wurde auf der Bühne nie thematisiert, sondern das absurde Theater als eine Kunstform. Hierbei geht es wie immer schon in den Künsten grundsätzlich um eine Verbindung von sinnlich wahrnehmbarer Außenwelt und seelisch geistiger Innenwelt. Kurz: es galt immer die äußere Erscheinung eines Gegenstandes mit einem inneren Bild zu verbinden. Das leistet die selbstschöpferische Kraft des Künstlers. Durch diesen Prozess suchte man das Wirkliche in der Qualität einer anderen, neuen Wirklichkeit zu erfahren und eine Form zu geben. Dabei kam es nie auf den Gegenstand selbst an, sondern weit mehr auf die Erfahrung, welche sich aus dem Umgang mit ihm einstellte. Sobald das Wirkliche dann durch den selbstschöpferischen Prozess im und durch den Künstler in eine besondere Stellung gebracht worden war, wurde es zur Kunstform, konnte erlebt und damit auch geistig verarbeitet werden. Darin wurde die Außenwelt erlebbar, und nicht nur das – man befreite sich auch noch von der Enge eines nur denkbaren aber nicht erfahrbaren Weltbildes.

Kehren wir zurück zu den bereits vorher erwähnten Schülern und deren Theater am Gymnasium Saint-Brieuc (Rennes), Bretagne und danach zu deren Theaterexperimenten am Lycêe Henri IV, in Paris besonders des Schülers Alfred Jarry (1873 – 1907) und den Anfängen seines berühmt gewordenen Theaterstückes „König Ubu“. Dieses aus dem Ulk des Schülertheaters entstandene Werk wurde dann im Théâtre de l’Ovre in Paris, am 10. Dezember 1896 uraufgeführt. In diesem Stück brach Jarry mit gängigen Theaterkonventionen und rief einen Skandal hervor durch seinen Hang zu exzessiven Aufrüttelungen und neuen Darstellungsformen. Mit seinen 23 Jahren wagte er es, sich von traditionellen Sprech- oder Ideeninhalten, wie auch von allen Realitätsansprüchen des bisherigen Theaters zu lösen. Stattdessen forderte er ein radikal-a-mimetisches, der Marionettenbühne nahe stehendes „Théâtre-action“. Seine Figuren entpersonalisierte er und kennzeichnete sie durch geringe äußere Merkmale, deren Handeln von Irrationalität bestimmt war. Sie handelten nie kausal und immer wandlungs- und lernunfähig. Gern verwendete er Gesichtsmasken, eine monotone Sprechweise gleichsam einer zeitlosen „Persona“.

Père Ubu nach einer Zeichnung von Alfred Jarry

Quelle: Wikipedia

Nach seinem frühen Tode vergaß man sein Werk bis nach dem zweiten Weltkrieg. Der Dramatiker Andre Gide holte das absurde Theater wieder an die Öffentlichkeit. In den frühen 50er und 60er Jahren waren die Werke von Autoren des Absurden geradezu auf allen Bühnen regelmäßig präsent. Beispielsweise wurde das zentrale absurde Werk Ionescos „Die kahle Sängerin“ am 11. Mai 1950 im berühmten Théâtre des Noctambules, Paris, unter der Regie von Nicolas Bataille uraufgeführt. Seit 1957 stand es täglich auf dem Spielplan des Théâtre de la Huchette und wurde dort mehr als 17,000 Mal aufgeführt.

Wie rasch und mit welchen einfachen Mitteln Ionesco sein Stück zu einem von der Rationalität befreiten Denken führt, lässt sich in seiner Regieanweisung gleich zu Beginn finden.  

Regieanweisung: „Ein gut bürgerliches englisches Interieur mit englischen Fauteuils. Eine englische Abendunterhaltung. Mr Smith, ein Engländer mit seinen englischen Pantoffeln, sitzt in seinem englischen Fauteuil, raucht eine englische Pfeife und liest eine englische Zeitung an einem englischen Kaminfeuer. Er trägt eine englische Brille, einen kleinen grauen englischen Schnauz. Neben ihm, in einem zweiten englischen Fauteuils, Mrs Smith, eine Engländerin, die englische Socken flickt. Ein langes englisches Schweigen. Die englische Wanduhr schlägt 17 englische Schläge.

Mrs Smith: Sieh mal an, es ist 9 Uhr…“

Die 17 Schläge der Uhr lassen die technisch exakt messbare Zeit verschwinden. Es entsteht ein Raum, offen für alle Deutungen.

Ein anderes Beispiel für einen völlig offenen Erlebnisraum findet sich am Beginne des Stückes „Sprichwörterabend“ von Georges Schehadé, uraufgeführt am 13. Januar 1954, im Pariser Théâtre Marigny unter der Regie des legendären Schauspielers und Regisseurs Jean-Louis Barrault.

Hier lautet die Regieanweisung:

„Vor dem Aufgehen des Vorhangs hört man eine Stimme:

Es waren ihrer mehrere, die an diesem Abend teilgenommen haben und nun tot sind. Die Zeit hat ihr Alter zum Fenster hinausgeworfen. In Wasser und Rasen sind ihre Leiber verwest. Wenn die Melodie in der Seele eines Kindes überdauert, wenn alles bleibt, was Geist gewesen – dann will ich die Geschichte einer wunderbaren Nacht erzählen.

Der Vorhang hebt sich.“

Danach wurde es rasch still um diese Kunst des Absurden. Es wurde ihr vorgeworfen, mangelnde Realitätsbezogenheit zu verbreiten und im anscheinend gesamten Sinnentleerten keinen Sinn zu finden. Das ist der leichtfertige Grund, warum dieses Theater kaum noch zur Aufführung kommt. Ein gewaltiger Irrtum!

Hinzukommt, das Auffassungen vertreten werden, viel später entwickelte Ausdrucksformen hätten mehr Realitätsnähe, zum Beispiel der Dadaismus und der Surrealismus.

Die Künstler des Dadaismus proklamierten ganz gezielt, keine Kunst zu machen, sondern eine Anti-Kunst für eine dem Materialismus verfallenen Gesellschaft.

Der Surrealismus beruht seinem Ursprung nach auf eine gefälschte Fortführung des Dadaismus, die dadurch zu stande kam, dass ein cleveres Kunstmarkt-Management erklärte, Dada sei nun die neue Kunst! Nun hatte der Markt wieder Ware, aber diese Ware war entstanden aus einer brutalen Falschmünzerei. Daran schloss sich der Surrealismus an. Er verstand sich zunächst als eine Gegenbewegung zur abstrakten Kunst, um dann in zunehmenden Masse sich dem Unbewussten zu zu wenden. Hierin folgte man vor allem Gedanken von Siegmund Freud und proklamierten in einem Manifest von André Breton den sogenannten „Automatismus zur Überwirklichkeit“. Die Ausschöpfung der tiefenpsychologischen Automatismen wurde zur Quelle dieser Kunst. Hier handelt es sich nicht um ein selbstschöpferisches Suchen und Finden der Künstler, sondern um Automatismen. Das hat mit dem absurden Theater überhaupt nichts zu tun.

Wie realitätsbezogen beispielsweise Ionesco war, dokumentiert seine Schrift: „Warum ich schreibe“.  Präziser kann man die Situation der Gesellschaft seiner Zeit kaum erfassen.

Anglo-Amerikanische Sichtweisen gegenüber allen Künsten übernahmen in Europa die Führung bis heute.

Eine typische US-amerikanische Reaktion ist die, dass man nicht das Theater benutzte, sondern die Möglichkeit, eine Filmkomödie zu kreieren. So entstand im Jahre 1967 der Film mit dem Titel, „Oh Vater, armer Vater, Mutter hängt dich in den Schrank und ich bin ganz krank“ von Richard Quine und Alexander Mackendrick. In diesem Stück geht es um die Darstellung des sogenannten US-amerikanischen Matriarchats. Mit dem absurden Theater hat das nichts mehr zu tun.

Deshalb sei hier noch einmal der Kern des Absurden festgehalten:

Die Kunst des absurden Theaters fühlt sich mehr einer Art Traumerleben verwandt als unserem normalen Wachbewusstsein. Die absurde Handlung zerbricht das gewohnte Erleben, um die äußere Welt durchsichtig zu machen. Die Autoren des absurden Theaters schufen keinen neuen Stil. Künstler beschäftigen sich nie mit der Kreation neuer Stile. Diese werden vorwiegend von jeweiligen Historikern in die Welt gesetzt und zwar erst dann, wenn eine Epoche abgeschlossen und überschaubar wurde (Eule der Minerva).

Unser inneres Leben folgt bekanntlich nicht bloß logischen Gesetzen. Unsere Erfahrungen speisen sich viel häufiger als wir annehmen aus a-logischen Gründen oder Anlässen.

In seiner Antrittsvorlesung „Die Positivität des Wirklichen“ an der Berliner Universität am 15. November 1841, erklärt der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854): „Die positive Philosophie ist nur unter dem Aspekt auch einer „negativen Philosophie“ möglich. Die „negative Philosophie“ folgt der Einsicht, dass das Ich des Menschen sich nicht selbst in seiner Gewissheit begründen kann und deshalb die absolute Transzendenz Gottes voraussetzen muss.“

Damit setzt er den Gottesbeweis der idealistischen Philosophie fest. Dieser Beweis wurde von beinahe allen bedeutenden Philosophen übernommen. In seiner Zuhörerschaft saßen sehr bedeutende Leute, u.a. der Philosoph des Existenzialismus Sören Kirkegaard. Kirkegaard soll gesagt haben, dass er zu alt sei, eine solche Vorlesung anzuhören und Schelling zu alt sei, eine solche Vorlesung zu halten. Die Philosophen Schopenhauer, Nietzsche, Siegmund Freud, Martin Heidegger usw. folgten jedoch seinem philosophischen Vorschlag.

Schelling: „Die positive Philosophie ist eine auf religiöser Erfahrung aufbauende, das Irrationale berücksichtigende Philosophie der Mythologie und Offenbarung.“

Derjenige, welcher danach noch der Ansicht ist, dass sich die gesamte Weltwirklichkeit nur logisch-rational erfassen lässt, wird im Absurden keinen berechtigten Grund finden. Ihm ist nicht zu helfen.

Ein Resultat dieser unsinnigen Ansicht steht uns in dem gesamten technisch-naturwissenschaftlichen Fortschritt gegenüber. Dessen Errungenschaften präsentieren sich der modernen Welt erfolgreich. Es ist nun gerade das Paradox, dass nicht das Versagen dieser Wissenschaften Mensch und Erde bedrohen, sondern im Gegenteil, es sind ihre Erfolge! Ihre Siegeszüge ziehen uns immer schneller an den Rand unserer Existenz und der Existenz der Erde. Wir wollen an dieser Stelle nicht auch die Verdienste dieser Wissenschaft schmälern. Doch im überwiegenden Masse bringen ihre Erfolge die Menschen in existenzielle Nöte und Überlebensängste.

Von hier aus möchte ich mit einigen wenigen Sätzen auf das Phänomen des KI zu sprechen zu kommen. Viele Sätze brauche ich deshalb nicht, da aktuell außerordentlich oft über dieses Gebiet gesprochen und veröffentlicht wird.  Hier gebe ich nur eine begrenzte Perspektive aus künstlerischer Sicht:

Vorab halte ich eine Begriffsabklärung für unentbehrlich, denn eine falsche oder unverstandene Verwendung von Begrifflichkeiten kann zu den schlimmsten Folgen führen.

Am Beispiel des Begriffes „Information“ möchte ich dies nachweisen. Der Begriff suggeriert, dass wir über etwas informiert werden oder Informationen um die ganze Welt gejagt werden. Diesen Inhalt hat Information ursprünglich nicht. Er leitet sich von dem lateinischen Verb „informare“ ab und lautet übersetzt: „bilden, sich bilden“. Bildung, informatio, ist aber genau dasjenige, was dem stets gut informierten Bürger heute fehlt, da Bildung mit „Wissen“ gar nichts zu tun hat. Bildung bezieht sich immer auf Formen, Lebensformen, die stets neu erschaffen werden müssen. Diesem völlig falschen Verständnis von Information als reines Faktenwissen statt FORMERKENNTNIS, entspringt der nächste Fehlschluss zu dem Begriff der sogenannten „kulturellen Werte“, von einem Wertekanon oder einer „Wertegemeinschaft“ usw. Der „Wert“ ist ein fester, vor allem messbarer Begriff aus der ökonomischen Wissenschaft, ein Fakt. Bildung jedoch zielt nie auf feste Fakten, sondern auf „geistige Güter“. Diesen Gütern haftet etwas lebendig wesenhaftes an und bedürfen ständiger neuer Formung und neuer Findung. Hiermit habe ich ihnen zwei Brandbeschleuniger des täglichen sozialen Chaos benannt.

Und nun zum Begriff der Intelligenz. Auch dieser Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab, und zwar von dem Verb: „intellegere“ und bedeutet „wählen“, dazwischen lesen, zusammenlesen, die Fähigkeit der Einsicht und des sich selbst Zurechtfindens.

Um dies besser verstehen zu können, dient mir ein bemerkenswerter Satz von Wolfgang Amadeus Mozart: „Die Noten sind nicht die Musik, sondern die Stille zwischen ihnen.“

Dazwischen erleben, fühlen, ahnen, sehnen, trauern, das ist Intelligenz! Das alles kann aus KI niemals entstehen! Das kann aber bei einem wahren Künstler immer entstehen. Deshalb hat KI in der wahren Kunst keine Chance.

Und außerdem haben wir es hier wieder mit jenem Erfolg aus Wissenschaft und Technik zu tun, welcher erfahrungsgemäß die Menschen bedrohen kann. Durch das Streben um KI hat sich hier ein Gigant aufgebaut aus Daten, Datenkontrollen, Kontrollen, die immer mehr den Zugriff zu den immer schneller und vielfältiger werdenden Daten verlieren und Kontrolle unmöglich wird. Es erfordert einen ungeheuren großen Energiebedarf und einer bisher in der Welt der Menschen nie dagewesene Unsumme finanzieller Mittel. Hier entsteht eine gefährliche Blase, die wahrscheinlich platzen wird und deren gefährliche Strahlkraft mit radioaktiver Strahlkraft durchaus zu vergleichen ist. Oder ist seine Strahlkraft womöglich noch gefährlicher als die aus Atomen? Die Atomkraft konnte staatlich kontrolliert und eingedämmt werden. Über die Verwendung von KI hat der Staat keine Kontrolle, da sie privat genützt werden kann und die Privatsphäre von Zugriffen geschützt ist.

Am Ende solch rein materialistischer Weltgestaltung steht nicht etwa erworbenes Vertrauen der Menschen in den Fortschritt, sondern die blanke Angst gegenüber den wissenschaftlichen Ergebnissen. Angst wiederum ist der sicherste und beste Nährboden für militärische Auseinandersetzungen. Kriege werden die Zukunft prägen und nicht KI.

Welche Position kann in diesem offensichtlichen Dilemma die Kunst einnehmen als eine nicht hintergehbare Ausdrucksform des Menschen – so wie die Sprache? Um hierauf in kurzer Form eine Antwort anzubieten, ist es notwendig, die drei Sphären des Denkens und Handelns der Menschen anzuschauen. Sie sind:

-          Religion

-          Kunst

-          Wissenschaft.

Die Religion ist der Unglaubwürdigkeit verfallen durch die Tendenz, Macht und Herrschaft ausüben zu wollen über Geist und Handlung der Menschen. Die Wissenschaft bedroht und ängstigt die Menschen. Zu Beiden ist das Vertrauen verloren gegangen. Sie können keine Verantwortung mehr übernehmen, denn vor der Übernahme von Verantwortung muss immer erst Vertrauen entstehen. Das ist eine Bedingung. Wir haben demnach nur noch die Kunst als Möglichkeit und Fundament für verantwortliches Handeln. Mit ihr können wir überleben. Noch überleben, denn auch sie, der letzte Rettungsanker, steht in Gefahr durch Unkenntnis, Falschmünzerei und Geldgier zersetzt zu werden. Deshalb muss eine Bildung aus den Gestaltungskräften der Kunst erfolgen. Doch ob das geschieht, dazu habe ich kaum Hoffnung. Denn auch die Kunst steckt in der Krise ihrer Identität, da sie missbraucht wird von egoistischen meist rein ökonomischen regierten Begehrlichkeiten. Doch nirgendwo sonst ist sich der Mensch selbst so nahe wie in der Kunst und deshalb muss hier angesetzt werden.  

Franz Kafka (1883 – 1924) sagt, „das Absurde ist das Wahre“.

Damit schließt sich der Kreis zu dem Kirchenvater Tertullian (160 – 240 nach Christus), welchen ich zu Beginn meiner Gedanken erwähnte und seinen Leitsätzen, mit denen er dem Element des Absurden die zentrale Position innerhalb der christlichen Lehre gab.

„Gekreuzigt wurde der Gottessohn; das ist keine Schande, weil es eine ist.
Und gestorben ist der Gottessohn; das ist glaubwürdig, weil es ungereimt ist.
Und begraben ist er auferstanden; das ist ganz sicher, weil es unmöglich ist.“

Aus Egon Friedell, C.H. Beck, München, „Kulturgeschichte der Neuzeit“

Zuletzt mein Aufruf: wir brauchen einen Paradigmawechsel!