Ansprache an der Ausstellung zur Frauenfussball EM in Sion, Schwiez, 2025
Ich hatte die Ehre, die Rede zur Eröffnung unserer Ausstellung anlässlich der Frauenfußball-Europameisterschaft in Sion zu halten am 2. Juli 2025
Hier ist nun meine Ansprache. Auch auf YouTube abhörbar!
Mehr Infos über die Ausstellung und ein paar Bilder hier.
Liebe Besucherinnen und Besucher,
liebe Kunstwahrnehmendwollende,
ich freue mich sehr, Sie heute hier begrüßen zu dürfen!
Vor etwa einem Jahr erhielt ich die Nachricht, dass eine gewisse Agnès Guhl Künstlerinnen sucht, um eine Ausstellung zum Thema Frauenfußball zu realisieren – als kulturelle Begleitung zur UEFA Women’s Euro. Da ich stets auf der Suche nach künstlerischen Herausforderungen bin, habe ich mich sofort gemeldet.
Unser erstes Treffen als Gruppe in Sion war voller Energie, Tatendrang – und vor allem: voller Gemeinschaftsgeist. Oder, um es mit Franziska Schutzbach aus ihrem Buch „Revolution der Verbundenheit – Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert“ zu sagen:
„Wenn Frauen sich verbündet haben, entstand Freiheit.“
Diese Ausstellung – mit Arbeiten von 14 Künstlerinnen – ist ein freier Ausdruck dessen, was uns zum Thema Frauenfußball bewegt hat.
Ich gebe zu: Anfangs war ich etwas ratlos. Fußball? Nicht ganz mein Thema.
Aber nach einigen Stunden am Spielfeldrand, mit Skizzenbuch und Stift, fand ich mein Motiv: den Körper in Bewegung!
Denn eines haben wir alle: einen Körper. Und dieser Körper bringt drei große Kräfte mit sich:
· die Kraft der Bewegung (wie auf dem Fußballplatz),
· die Kraft der Kommunikation (wie ich gerade mit Ihnen, und Sie später miteinander über die Ausstellung),
und
· die Kunstkraft.
Was ist das – Kunstkraft?
Sie ist die Kraft der Form. Sie zeigt sich in allem, was wir gestalten: Wie wir uns anziehen, wie wir das Essen anrichten – sie bestimmt den Ausdruck unseres Alltags.
Denn: Ohne Form – keine Orientierung. Ohne Form – bleibt nur Beliebigkeit.
So wie ein Fußballspiel Regeln, ein Feld und Trikots braucht, braucht auch die Kunst ihre Formen.
Die Kunstkraft ist der Wille zur Formgebung – ein innerer Drang, dem Ungeformten, dem Chaos, dem Alles was uns umgibt, eine Gestalt zu geben. Sie ist der Ursprung aller Kultur: In ihr spiegeln wir uns selbst, unsere Gedanken, unsere Träume – fernab von Naturgesetzen, die wir nicht beeinflussen können.
Denn sprechen wir über Kunst, sprechen wir nicht über die Natur. Die Natur ist uns gegeben. Die Natur machen wir nicht. Sie ist in ihren Regeln gefangen.
Kunst hingegen ist das, was wir Menschen selbst erschaffen – ganz bewusst.
Durch Kunst formen wir eine Welt, die aus uns heraus entsteht. Eine Welt, in der wir uns geistig und sinnlich frei bewegen können.
Diese Freiheit ist kein Selbstzweck – sie ist ein menschliches Bedürfnis.
Die vom Menschen gemachten Formen sind „unnatürlich“ – und darin liegt ihre Stärke: sie sind frei.
Und genau aus dieser Freiheit heraus ist auch diese Ausstellung entstanden.
Unsere Werke hier sind nicht nützlich im klassischen Sinne. Sie wollen nichts bedienen oder verbessern. Sie wollen – sein.
In seiner berühmten Schrift „Der Ursprung des Kunstwerks“ beschreibt Martin Heidegger die Kunst als ein Ereignis der Wahrheit. Sie lässt das Wesen des Seienden aufscheinen – und eröffnet neue Blicke auf das, was uns umgibt.
Mit anderen Worten: Kunstwerke helfen uns, Dinge zu sehen, die immer schon da waren – aber vielleicht nie so sichtbar wie jetzt.
Und so haben wir alle versucht, unsere Wahrheit und unsere Freiheit in dieser Ausstellung auszudrücken – für Sie, liebe Kunstwahrnehmendwollende.
Vielleicht entdecken Sie heute etwas, das Sie noch nie so gesehen haben.
Ein Werk, das Ihre Gedanken zum Träumen bringt.
Ein Bild, in dem Ihre Augen gerne spazieren gehen.
Oder einfach ein Gefühl von Zuhause in einem ganz neuen Kontext.
Zum Schluss möchte ich ein riesengroßes Dankeschön an Agnès aussprechen – sie hat diese Ausstellung erdacht, möglich gemacht, kuratiert und sogar den Raum dafür umgebaut. Sie hat uns stets mit offenen Armen empfangen, innovative Ideen eingebracht und war immer offen für unsere Fragen. Auch die Stadt Sion hat sie für unsere Ausstellung begeistert – ein großes Dankeschön an die Stadtangestellten, die unser Projekt nicht einfach vom Tisch gefegt, sondern mit offenen Armen aufgenommen haben.
Ein herzliches Dankeschön auch an die École de Couture du Valais unter der Leitung von Gabriela Schnyder, die engagiert mitgearbeitet, mitgestaltet und das Projekt mit vollem Einsatz begleitet hat.
Und natürlich danke ich allen Künstlerinnen, die bereit waren, sich auf dieses Spiel einzulassen und dafür Kunstwerke zu schaffen – ich bin stolz, dabei zu sein und mein Werk gemeinsam mit diesen wunderbaren Menschen zeigen zu dürfen!
Denn: Kunst wird von Menschen für Menschen gemacht.
Und deshalb – ja, auch das muss gesagt werden – sind die Werke auch käuflich.
Sie dürfen sie mitnehmen. Kunst darf wandern.
Und, wie Matisse es auch sagte: Kunstgenuss braucht Zeit.
Ich danke Ihnen herzlich fürs Zuhören –
und wünsche Ihnen eine inspirierende Zeit in unserer Ausstellung!
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